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08/2015
Ortseingang von Thal vorgearbeitet.
Dabei wurde auch das Fernsprechkabel
zerstört und damit jegliche Nachrichten-
verbindung nach auswärts unterbrochen.
Durch den Schlackenaufbau im Bahn-
hofsbereich begünstigt, schritt die
Unterspülung des Bahnkörpers unge-
mein rasch vorwärts. Bereits am Vormit-
tag musste an der westlichen
Einbruchstelle mit der Räumung des
Hauses des Kraftfahrers Franz Unterwe-
ger begonnen werden. In ihm war auch
der Gendarmerieposten untergebracht.
Um ca. 15:45 Uhr stürzte das fast auf
den Tag genau vor drei Jahren bezogene
Eigenheim in die Fluten der Drau. Eine
dumpfe Detonation, eine Wasserstaub-
wolke und nichts, aber schon gar nichts
mehr war zu sehen von dem schmucken
Haus.
In diesem Augenblick, als noch das hilf-
lose Völklein dastand und wohl an die
Vergänglichkeit alles Irdischen dachte,
brach seit vielen Tagen der erste Son-
nenstrahl durch die Wolken. Während
an eine Evakuierung der im Bundesstra-
ßenbereich gelegenen Häuser am Vora-
bend noch nicht gedacht werden
brauchte, hatte die Lage im Lauf des
zweiten Katastrophentages dermaßen
gefährliche Formen angenommen, dass
selbst der Gasthof
„Aue“ und das Lebens-
mittelgeschäft der Frau
Luise
Unterweger
immer näher in den
Gefahrenbereich der
Drau rückten. Durch
den Einsturz des vorge-
nannten Hauses wurde
die Lage für die Aue
noch bedrohlicher.
Zu dieser Zeit kam end-
lich Hilfe von auswärts.
Ein Zug Gebirgsjäger,
unter Führung des Stabswachtmeisters
Oberhuber, traf in Thal ein. Das war der
zweite Lichtstrahl dieses Tages. Sofort
fassten die Leute neuen Mut und neue
Hoffnung. Für die seit bereits 36 Stun-
den ununterbrochen im Einsatz stehen-
den Männer war das wirklich eine
fühlbare Entlastung. Unmengen von
Rauhbäumen und Steinkörben wurden
an den besonders gefährdeten Stellen im
Bereich Aue und Bahnhof eingelegt.
Mit der totalen Unterspülung der beiden
Widerlager der erst im Frühjahr in
Eisenkonstruktion fertiggestellten soge-
nannten „Auer Brücke“ wurde auch die
am Brückenblatt fixierte, gemeindeeige-
ne Wasserleitung vernichtet. Östlich des
Ortseinganges von Thal verschlimmerte
sich die Situation am Nachmittag des
zweiten Katastrophentages von Stunde
zu Stunde. In den Abendstunden wurde
die Räumung des Wohnhauses des
Eisenbahners Paul Walder und einiger
östlich davon gelegener Baulichkeiten
im Bahnhofsbereich notwendig. Wal-
ders Haus steht anscheinend an einem
sicheren Plätzchen nördlich der Bundes-
straße Nr. 100 am östlichen Ortseingang
von Thal. Niemand dachte je daran, dass
diesem Haus einmal Gefahr von der
Drau her drohen könnte. Nachdem aber
der Gemeindeweg, der Bahndamm und
der Straßenkörper
weggeschwemmt
waren, arbeiteten
sich die Fluten bis
an die Gartenmauer
dieses Hauses her-
an.
Während alle in
diesem Ortsteil ein-
liegenden Siedler
ihre Wohnstätten
verlassen hatten,
musste der taube
S c h i r mm a c h e r
Anton Manucredo
knapp vor Mitternacht des 3. September
durch Gendarmen und freiwillige Helfer
gewaltsam außer Haus und damit in
Sicherheit gebracht werden.
In der Nacht vom Freitag zum Samstag
wurde in der Aue-Kapelle nächtliche
Anbetung gehalten. Vorher wurde ein
Bittgang mit dem Allerheiligsten zum
„Kronenbachl“ durchgeführt. Der Hl.
Josef ist der Schutzpatron der Aue. Sei-
ne Statue wurde während der Katastro-
phentage in die nach Westen weisende
Fensternische der Kapelle gestellt, so,
als wollte man sagen: „So, jetzt mach
Du, wir können nicht mehr!“. Obwohl
die Lage in der Bahnhofsgegend äußerst
kritisch war, hoffte man, dass die Nacht,
den Umständen entsprechend, halbwegs
gut vorübergehen würde.
Das Gegenteil trat ein. Bereits um 0:30
Uhr des 4. September stürzte die südlich
des Bahnhofes gelegene große Lagerhal-
le der Fa. Brüder Unterweger, Obstver-
wertung, in die Fluten der Drau. 200.000
kg Apfelmark und eine Menge Leerge-
binde wurden vernichtet. Kaum eine
Stunde später, um 1:25 Uhr, wurde das
in der Nähe der Halle gelegene Eigen-
heim des Josef Niederwieser zerstört.
Dadurch wurde abermals eine kinderrei-
che Familie obdachlos.
Bei Tagesgrauen mussten weitere große
Schäden an öffentlichem Gut., wie
Bahn, Straße, Brücken, Strom- und
Fernsprechnetz sowie Wasserversor-
gungsanlagen festgestellt werden. An
der Mittewalder Brücke wurde der östli-
che Brückenpfeiler zum Großteil unter-
waschen, ähnlich wie dies bereits an der
Eisenbahnbrücke in Mittewald bei
Bahnkilometer 284 am Vortag gesche-
hen war. Die Bundesstraße östlich von
Mittewald wurde auf einer Länge von
150-200 m teils unterwaschen, teils
weggeschwemmt. Große Flächen des
Fortsetzung Hochwasserkatastrophe 1965
Das “Schmittenbachl” bzw. “Mesnerbachl” in St. Justina bedrohte
Straßen und Häuser.
Bahn und “Trowiesenbrücke” nach dem Rückgang des Drau-
hochwassers.
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