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08/2015
Am 2. September gegen 6:20 Uhr war
das Dörfler Bachl dermaßen in Erschei-
nung getreten, dass für diesen Sied-
lungsteil Hochwasseralarm gegeben
werden musste.
Obwohl innerhalb kürzester Zeit Gen-
darmerie, Feuerwehr und zivile Helfer
an den gefährdeten Punkten zur Stelle
waren, schien die Lage im Augenblick
völlig aussichtslos. Das Schulhaus Thal
und eine Reihe von Siedlungshäusern
waren in höchster Gefahr. Die Geröll-
und Schlammmassen suchten sich quer
durch das östliche Siedlungsgebiet
freien Lauf und setzten sich hinter Häu-
sern und auf hart erarbeitetem Kulturbo-
den, sowie auf der Landes- und
Bundesstraße ab.
Noch während die Vermurungen in die-
sem Teil andauerten, wurde für Thal
neuerdings Alarm gegeben. Das berüch-
tigte „Kronenbachl“ drohte über die
Ufer zu treten. Innerhalb weniger Minu-
ten brachte es eine Unmenge Geröll-
und Gesteinsmassen, so dass für einzel-
ne Objekte, im besonderen aber für das
Betriebsareal der Fa. Brüder Unterwe-
ger, größte Gefahr bestand.
Zu diesem Augenblicke war mit Hilfe
von auswärts noch nicht zu rechnen.
Arbeiter der Marmeladefabrik und des
Sägewerkes Theurl waren zur Regulie-
rung des Bachlaufes eingesetzt. Sie
waren aber, trotz äußerster Anstrengung
zu schwach gegen die Gewalten der
Natur. Mit unverminderter Kraft stürz-
ten Geröll- und Schlammmassen zu Tal,
Bäume und Sträucher mit sich führend.
Im Mündungsgebiet südlich der Ort-
schaft hatten sich auf der dort vorbeifüh-
renden Bundesstraße innerhalb weniger
Minuten derartige Materialmassen ange-
sammelt, dass die inzwischen dort ein-
gesetzten Arbeiter des
Baubezirksamtes Lienz
und der Fa. Gridling
der Lage nicht mehr
Herr werden konnten.
Man
musste
sich
schließlich nur mehr
darauf beschränken, die
Einmündungsstellen
offenzuhalten, um den
zu dieser Zeit noch sehr
starken Durchgangs-
verkehr nicht sofort
zum Erliegen zu brin-
gen.
Entlang der beiden
Bachläufe standen zahlreiche Helfer aus
allen Bevölkerungsschichten, nur mit
einfachen Handwerkzeugen ausgerüstet,
um der nun für den gesamten Ortsteil
äußerst gefährlichen Lage Herr zu wer-
den. Der Bürgermeister ließ den Not-
stand ausrufen.
In diesen frühen Morgenstunden des 2.
September hatte man das über die
Gemeinde hereinbrechende Unglück
noch nicht vorausahnen können. Zwar
waren auch der die Ortsteile Thal und
Unterassling trennende Wilferner Bach,
sowie der Kristeinbach
beängstigend angestiegen,
doch nicht so, dass man in
deren Lauf mit Über-
schwemmungen
hätte
rechnen müssen. Dies
gestattete den Hilfsmann-
schaften, ihr Augenmerk
vorerst auf die weiterhin
tobenden Wildbäche aus
dem „Kronenbachgraben“
und dem „Dörflerbachgra-
ben“ zu richten. Inzwi-
schen langten Meldungen
ein, dass der sonst
unscheinbare, aus dem
Bannberger Gebiet kommende Mark-
oder Glörbach sein Zerstörungswerk
begonnen hätte. Siedlungen waren im
Bereich dieses Baches nicht in Gefahr.
Während die bereits erwähnten Arbeiter,
Anrainer und freiwilligen Helfer, mit
Schutz- und Regulierungsarbeiten am
„Kronenbachl“ beschäftigt waren, brach
gegen 9:45 Uhr des 2. September an der
Westseite des genannten Grabens nörd-
lich von Thal eine Geröllhalde größten
Ausmaßes ab.
Durch ein unheimliches Rauschen und
Poltern aufmerksam gemacht, konnte
man von der Straße aus das Herannahen
der Schlamm- und Geröllmassen genau
beobachten. Eine mächtige, graue Was-
serstaubwolke ging der Mure voran. Im
nächsten Augenblick vernahm man das
Krachen stürzender Bäume und weit
über sie hinaus spritzten die braunen
Schlammmassen. Am Fallen der Bäume
konnte man die ungeheure Geschwin-
digkeit der Mure feststellen.
In der Nähe des Wasserbehälters waren
auf kleinstem Raum vier Männer, der
Vorarbeiter und Bauer Johann Libisel-
ler, der Förster Siegfried Stocker, der
Fabriksarbeiter Josef Jungmann und der
Kraftfahrer Thomas Goller mit Siche-
rungsarbeiten beschäftigt. Letzterer,
Vater von fünf Kindern, war erst Minu-
ten vorher zu dieser Arbeitsgruppe
gestoßen. Er kam von einer Dienstfahrt
aus dem Oberland zurück, stellte seinen
Wagen auf der Asslinger Straße ab und
eilte sofort in den Kronenbachgraben
hinauf, denn sein Eigenheim lag ja im
unmittelbaren Gefahrenbereich. Alle
vier wurden von der Mure überrascht.
Libiseller und Stocker wurden vom
Luftdruck zur Seite geschleudert. Bei-
den wurde der Mantel buchstäblich vom
Leibe gerissen. Ersterer konnte sich im
letzten Moment an einer Erlstaude fest-
klammern. Er stieß einen Warnungs-
schrei aus, der aber leider wegen des
Rauschens und Polterns bachabwärts
nicht vernommen werden konnte. Sto-
cker wurde so weit aus dem Gefahren-
bereich geschleudert, dass ihn nur mehr
der äußerste Rand der Mure erreichte. Er
konnte von Hilfsmannschaften unver-
sehrt geborgen werden. Goller und Jung-
mann wurden von den Schlamm- und
Geröllmassen begraben.
Feuerwehrkommandant Thomas Planeg-
ger wurde von einem Baum, der von der
Mure aufrecht daher getragen wurde und
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Fortsetzung von Seite 1: Hochwasser 1965
Das Haus des Franz Unterweger stürzte am Nachmittag des
3. September in die Fluten der Drau.
Der Kristeinbach bedrohte die Werkstätte des Anton Unterweger
“Schlosser Tondl” in Mittewald.