Virgen
Aktiv
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I
Virger Lebensbilder
Wie kam es, dass du nicht in Osttirol
und nur selten in Österreich arbeitest,
sondern in der Schweiz, in Schottland,
England, Luxemburg und Deutschland?
Als ich in den 80er-Jahren nach einem
Job gesucht habe, war es sehr schwer, bei
uns gut bezahlte Arbeit zu finden. Außer-
dem hatte ich auch meine Maschinen-
schlosserlehre abgebrochen. Anfangs
war ich Bauarbeiter, habe aber die Lehre
doch noch abgeschlossen und wurde
dann als Maschinenschlosser eingesetzt.
Nach einem Arbeitsunfall, der mich ein
halbes Jahr in den Rollstuhl zwang,
nutzte ich die Gelegenheit und machte
die Ausbildung zum Werkmeister/
Schweißwerkmeister. Ab 1991 war ich
Hilfsmaschinenmeister, später Maschi-
nenmeister auf verschiedenen Tunnel-
baustellen in Deutschland. Am Anfang
meines Berufslebens war mir die Ausbil-
dung nicht so wichtig, aber im Laufe der
Zeit hat mir das auch Spaß gemacht.
2001 wurde mir in München die Stelle
als technischer Kalkulator und Arbeits-
vorbereiter angeboten. Ich war dort für
den konventionellen Tunnelbau zustän-
dig. Kurz darauf sollte ich die maschi-
nentechnische Leitung für unsere da-
maligen Baustellen in Luxemburg,
Deutschland und Österreich überneh-
men. Dafür habe ich interne Weiterbil-
dungen absolviert und bin nun fachlich
auf dem Stand eines Maschineninge-
nieurs. Seit 2005 trage ich die Verant-
wortung für bis zu 170 Mitarbeiter ver-
schiedener Baustellen, bin aber derzeit
schwerpunktmäßig beim Projekt Stutt-
gart 21 tätig.
Deswegen pendelst du Woche für
Woche zu deinen wechselnden Arbeits-
plätzen. Eigentlich bist du selten zu-
hause. Wolltest du nie hier einen
Arbeitsplatz finden?
Am Anfang war es pure Notwendigkeit:
ich musste Geld verdienen. Leicht war das
aber nicht. Ich hatte viel Heimweh und
hätte gern öfter mit meiner Familie Kon-
takt gehabt. In den ersten Jahren gab es ja
keine Computer oder Handys. Das kann
man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Auf der Höhenbaustelle im Zillertal hatte
ich oft bis zu zehn Tage überhaupt keinen
Kontakt. Da habe ich mir oft gedacht, ich
such mir was anderes, damit ich bei
Familie und Freunden sein kann. Der
gute Verdienst und die beruflichen Ent-
wicklungsmöglichkeiten führten schließ-
lich dazu, dass ich trotzdem nie ernsthaft
in Osttirol Arbeit gesucht habe.
Wie steht deine Familie dazu, dass du
viel weg bist?
Ja, das ist und war nie ganz einfach für
uns. Das geht auch allen Familien der
Kollegen so. Meine Frau hatte über viele
Jahre allein die Verantwortung für die
Kinder und das Haus. Das war schwer
für sie und ich hatte oft auch ein
schlechtes Gewissen. Aber wir haben uns
daran gewöhnt. Noch heute wohnen wir
alle eng zusammen. Wer weiß, vielleicht
war es auch gar nicht ganz so schlecht
für uns.
Ihr habt das ema verdichtete Bau-
weise perfekt gelöst. Gibt es Erfah-
rungen in diesem Zusammenhang, die
du aufgrund deiner langjährigen Tä-
tigkeit und Erfahrung an angehende
„Häuslbauer“ weitergeben kannst?
... ja, das war eine große Herausforde-
rung. Mit der vorhandenen Platzsitua-
tion war uns eigentlich schnell bewusst,
ARNOLD FERCHER …
… über sein
Leben daheim
und auf
den Baustellen
Europas
Seit bald 36 Jahren arbeitet Arnold Fercher in unterschiedlichen Funktionen auf
den großen Baustellen in Europa. Zur Zeit ist er hauptsächlich beimGroßprojekt
Stuttgart 21 tätig, das von seinen Bauherren gerne als derzeit größte Baustelle
Europas bezeichnet wird. Wie er sein Leben gestaltet, wie er allemgerecht wer-
denmöchte undweshalb er sich keine Arbeit in der Nähe sucht, all das habenwir
ihn gefragt.