Virgen
Aktiv
Österreich vor 70 Jahren
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richten. So ist verständlich, dass sie auf
Hitler, den „Gegenpol“ zu Stalin, große
Hoffnungen setzten. Mit der Nazi-Ideo-
logie hatten sie jedoch nichts zu tun,
ihnen war nur die Bewahrung von Frei-
heit, Religion, Tradition, kurz: ihrer Kul-
tur wichtig.
Ab Herbst 1941 wurden mehrere Kosa-
ken-Verbände in die deutsche Wehr-
macht aufgenommen und vor allem zur
Bekämpfung von Partisanen eingesetzt
(sowohl die jugoslawischen als auch die
italienischen Freischärler waren Kom-
munisten und stellten daher für die
Kosaken „natürliche“ Feinde dar). Nach-
dem 1943 die Ostfront zu zerbröckeln
begann, mussten die deutsch-freund-
lichen Kosaken mit ihren Familien an
Flucht denken. Die NS-Regierung wies
ihnen bei Tolmezzo (Friaul) ein Sied-
lungsgebiet zu, in das 1944 ca. 25.000
Personen einzogen. Doch nach dem
29. April (Kapitulation der deutschen
Truppen – siehe oben) musste auch die-
ser Zufluchtsort verlassen werden, um
nicht den bekämpften Partisanen in die
Hände zu fallen. Und so machte sich ein
endlos langer Tross auf den Weg, er-
reichte am Donnerstag, 3. Mai bei
Schneegestöber den Plöckenpass und
schließlich völlig entkräftet Kötschach-
Mauthen. Nach mehreren Verhandlun-
gen wurde die Kolonne schließlich in
den Raum Oberdrauburg – Lienz ge-
schickt, wo sie während der folgenden
Tage auch eintraf.
Um eine Vorstellung zu gewinnen:
Kosaken waren gut ausgebildete, diszip-
linierte Soldaten, führten aber die ganze
Familie vom Baby bis zum Opa samt
allem Hausrat mit sich. Der von Pferden
gezogene, mit einer Plane überdachte
„Panjewagen“ stellte das bevorzugte
Transportmittel dar; motorisierte Fahr-
zeuge gab es nur wenige. Die zu Fuß Ge-
henden, etwa 100 „unverzichtbare“
Kühe und einige Kamele bremsten den
Marsch zusätzlich.
Die Reaktion der Einheimischen auf
diese „Invasion“ war zwiespältig: einer-
seits Angst vor den fremdländischen, be-
waffneten Männern, andererseits Hilfs-
bereitschaft Frauen und Kindern gegen-
über. Es gibt viele Aussagen von
Zeitzeugen, die übereinstimmend be-
richten, dass es nur selten Übergriffe ge-
geben hat. Die Kosaken waren zum
Großteil ehrlich, bezahlten, was sie zum
Leben brauchten, oder tauschten es
gegen Teppiche, Schmuck und andere
Gegenstände ein.
Das größte Problem verursachten die
ca. 5.000 Pferde – sie hatten in kurzer
Zeit riesige Flächen kahl gefressen, so-
dass die Bauern weder Heu noch Korn
ernten konnten.
Das ereignete sich bis Anfang Mai; die
Fortsetzung folgt, wie gesagt, im Herbst.
Hinweise:
A) Univ. Dozent Dr. Harald Stadler be-
schäftigt sich schon lange mit dem
Schicksal der Kosaken in Osttirol. Nun
hat er darüber die höchst interessante
Ausstellung „Einst Flüchtling – heute
Tourist“ zu Stande gebracht, die bis
Mitte September im ehemaligen „Heiz-
haus“ auf dem Gelände des Bahnhofs
Lienz besichtigt werden kann. Vielleicht
ein Ausflug-Tipp für einen verregneten
Sonntag?!
B) In unserer Bücherei gibt es reichhal-
tige Literatur über die beiden Weltkriege
und im Besonderen auch über die Kosa-
kentragödie (einer der Autoren: Dr. Ha-
rald Stadler) – wer sich also genauer
informieren möchte ...
Virgen
3. 5. 45:
Mord und Selbstmord:
Am 3. 5. 1945, 19 bis 20 Uhr, hat der
SS-Hauptsturmführer Helmut Bauer, ...
mit seiner Familie vorübergehend beim
vulgo Stöffer in Mitteldorf wohnhaft,
auf dem Fahrwege nach Zedlach seine
38 Jahre [alte] Frau Elisabeth, die Kinder
Bernhard, 8 Jahre alt, Dietmar 7, Hel-
mar 5 und Sieghard 3, mit seiner Pistole
durch Genickschuß ermordet und sich
selbst hernach durch einen Schuß in die
Schläfe entleibt. Motiv der Tat ist unbe-
kannt. Wahrscheinlich um den kom-
menden Ereignissen zu entgehen. Die
Opfer wurden am 5. 5. 1945 um 18
Uhr 30 still auf dem Ortsfriedhofe in
Virgen beerdigt.
8. 5. 45:
Kriegsende:
Es kam, wie es viele schlichte, einfache
und religiöse Bauern des Überwachungs-
bereiches bei Beginn vorausgesagt hat-
ten: Mit einer totalen Vernichtung
Deutschland.
26. 6. 45:
Britische Besatzung in Vir-
gen:
Am 25. 6. 1945 trafen 10 britische Sol-
daten zur Überwachung des Grenz-
sperrgebiets (Gemeindegebiet Prägraten)
in Virgen ein. Diese Besatzung wurde
am 14. 9. 1945 abgezogen.
Otfried Pawlin
Quellenangabe:
Druckwerke:
Manfred Scheuch: „Atlas zur Zeitge-
schichte – Europa im 20. Jahrhun-
dert“, Verlag Christian Brandstätter,
Wien; 4. aktualisierte Auflage; ISBN
3-85447-434-2
Div. Autoren: „Chronik des Dritten Rei-
ches“ in der Sammlung „Österreich
1938 – 1945, Dokumente“, Archiv-
Verlag, Wien
Dr. Christian Zentner (Hg.): „Chronik
Österreich von den Anfängen bis
heute“, Verlag Otus AG, St. Gallen,
2008, ISBN 978-3-907200-49-0
Dr. Martin Kofler: „Osttirol im Dritten
Reich, 1938 – 1945“, Studienverlag,
Innsbruck, 1996, ISBN 3-7065-1135-5
Dr. Martin Kofler: „Osttirol – Vom
Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“,
Studienverlag, Innsbruck, 2005, ISBN
3-7065-1876-7
H. Stadler, M. Kofler, K. C. Berger:
„Flucht in die Hoffnungslosigkeit“ –
Die Kosaken in Osttirol, Studienver-
lag, Innsbruck, 2005, ISBN 3-7065-
4152-1
Protokolle des Gendarmeriepostens Vir-
gen, 1923 – 1973
Internet:
http://www.kurt-bauer-geschichte.at/PDF_Lehrveranstaltung%202008_2009/...
(Hitlers Testamente)
http://
science.orf.at/stories/1758216/(Selbstmord Hitlers)
http://
de.wikipedia.org/wiki/Karl_Gruber
Bildnachweis:
Abb. 1: Aus dem o. a. Buch von
Dr. Christian Zentner: „Chronik
Österreich ...“
Abb. 2 und 3: Fotografin: Franziska
Baptist, Sammlung Foto Baptist bzw.
„Tirol Archiv Photographie“ (TAP),
zur Verfügung gestellt von Dr. Martin
Kofler