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Aktiv
Österreich vor 70 Jahren
I
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1945 (1. Teil)
Der Zweite Weltkrieg endete in Europa
am 8., 9. Mai, in Asien am 2. September
(Kapitulation Japans). Die Ereignisse
dieses „Dreivierteljahrs“ sind jedoch so
vielfältig, dass sie hier aufgeteilt werden
müssen – diesmal ist die Rede vom Ge-
schehen bis zum Ende der Kämpfe „bei
uns“, in der Herbstausgabe folgen dann
die restlichen Fakten und ein Resümee
des Krieges.
Hitler-Deutschland hatte seit der Nie-
derlage bei Stalingrad (1943), spätestens
aber nach der Landung alliierter Trup-
pen in der Normandie („D-Day“, 6. Juni
1944) den Krieg praktisch verloren. Das
wollte die Nazi-Clique jedoch nicht
wahrhaben; der „Führer“ studierte in sei-
nem sicheren Bunker Landkarten und
gab dann Befehle zur Verteidigung von
„jedem Zentimeter deutschen Bodens“.
Diese Befehle sollten Einheiten erfüllen,
die zum Teil gar nicht mehr existierten,
„aufgerieben“ waren.
Zuletzt wurden aus erst halb geheilten
Verwundeten, 15-, 16-jährigen Burschen
und Männern über 60 neue „Kampfver-
bände“ gebildet, denen es aber an Aus-
bildung, Erfahrung, Waffen und Muni-
tion mangelte. Dennoch mussten sie,
angetrieben von fanatischen Offizieren,
an einzelnen Frontabschnitten Wider-
stand leisten, obwohl eine Gegenwehr
sinnlos war und unnötiges Blutvergießen
nach sich zog.
Ebenso sinnlos und kaum zu fassen, wie
die „Mordspezialisten“ der SS gegen
Ende des Krieges wüteten. Nach jedem
Gebietsgewinn der sowjetischen Armee
„leerten“ sie der Reihe nach die im Pro-
tektorat Polen gelegenen Konzentrati-
onslager und trieben die Häftlinge in
„Todesmärschen“ westwärts. Seriöse
Schätzungen geben an, dass bei diesen
„Evakuierungen“ mehrere hunderttau-
send der zum Skelett abgemagerten
Opfer an Erschöpfung oder durch Er-
schießen starben.
Nicht nur in Ostpreußen, Schlesien und
Pommern (heute zum Großteil polni-
sche Gebiete), sondern im gesamten
Deutschen Reich herrschte ab dem Jah-
resbeginn das blanke Chaos, ausgelöst
durch eine noch nie dagewesene Flücht-
lingswelle. In den genannten nördlichen
Gebieten versuchte die Mehrzahl der
deutschen Bevölkerung vor den russi-
schen Truppen zu fliehen, aus Ungarn,
Kroatien, der Tschechoslowakei, Rumä-
nien und anderen Ländern wurden
deutsch Sprechende brutal verjagt, man-
cherorts tatsächlich „hinausgepeitscht“.
Insgesamt haben in diesen Monaten ca.
15 Millionen Flüchtlinge bzw. Vertrie-
bene eine neue Heimat gesucht; es ist
glaubwürdig, dass dabei etwa zwei Mil-
lionen ums Leben kamen.
Soweit ein grober, allgemeiner Über-
blick, nun einige wichtige Details:
12. Jänner:
Beginn des sowjetischen
Großangriffs gegen die deutsche Ost-
front
16. Jänner:
Hitler verlegte das „Führer-
hauptquartier“ in die Berliner Reichs-
kanzlei (die er bis zu seinem Tod nicht
mehr verließ)
24. Jänner:
Rückzug des deutschen
Militärs aus der Slowakei
2. Februar:
Unmenschliche Handlun-
gen auch durch die Zivilbevölkerung:
Nach der gelungenen Flucht von 500
russischen Kriegsgefangenen aus dem
KZ Mauthausen beteiligten sich viele
„Private“ mit ihren Jagdgewehren an der
sogenannten „Mühlviertler Hasenjagd“
– nur 17 der Geflohenen überlebten
4. bis 11. Februar:
Konferenz der „Gro-
ßen Drei“ (Stalin – Russland, Roosevelt
– USA und Churchill – Großbritan-
nien) in Jalta auf der Halbinsel Krim.
Hauptpunkte der Verhandlungen waren
die Aufteilung Deutschlands nach dem
Krieg sowie ein Geheimabkommen
über die Repatriierung russischer Staats-
bürger (davon wird im zweiten Teil noch
die Rede sein) (lateinisch: re = zurück,
patria = Heimat, Vaterland).
2. März:
Die 9. US-Armee gelangte an
den Rhein
12. März:
Schwerstes Bombardement
von Wien mit etlichen tausend Toten
ÖSTERREICH VOR 70 JAHREN
Bilanz der größten Bombenangriffe;
die „leichteren“ auf viele Städte und Orte forderten zwar auch eine in die Tausende
gehende Zahl an Menschenleben und verursachten massive Schäden, konnten
aber hier nicht berücksichtigt werden
Stadt
Angriffe
Bomben
Tote
Ruinen
Graz
56
ca. 17.000
1.980
1.200
Wien
53
über 100.000
8.769
6.214
Klagenfurt
48
keine Angaben
477
434
Villach
37
ca. 42.500
266
478
Wr. Neustadt
29
ca. 55.000
790
1.707
Linz
22
keine Angaben 1.679
691
Innsbruck
22
keine Angaben
504
344
Salzburg
15
ca. 9.500
547
423
St. Pölten
10
keine Angaben
591
71
Anmerkung:
Unter „Ruinen“ sind nur die komplett zerstörten, eingestürzten Häuser erfasst.
Mehr als 100 000 Gebäude standen – zur Not bewohnbar – „halt gerade noch
so“, mussten aber später abgebrochen und neu errichtet werden.
Die „menschliche Bilanz“:
In ganz Österreich waren durch die Bombenabwürfe etwa 25.000 bis 30.000 Tote
und 60.000 Verletzte zu beklagen.