
Es gibt kaum einen Ort,
einen eingeschränkt öffent-
lichen Raum in unserer Ge-
sellschaft, in unserem Kul-
turkreis, an dem mehr über
die Selbstverständlichkeit
und die prinzipielle End-
lichkeit des Lebens reflek-
tiert wird, als den im Rah-
men eines Friedhofs. Es
unterliegt dem Zugeständ-
nis zu glauben bzw. dem
Vorstellungsraum jedes
Einzelnen, inwieweit die
Thematik rund um das
Sterben und den Tod ein im
religiösen Kontext erfahre-
nes Weiterdenken an Auf-
erstehung und Erlösung
eingesteht und praktiziert.
Die Widmung eines Fried-
hofs und bestimmter Berei-
che darin nach dem jeweili-
gen Glaubensbekenntnis
oder im zeithistorischen
Eingedenk, betont die Zu-
gehörigkeit der Verstorbe-
nen und deren Hinterblie-
benen einer Gemeinschaft
gegenüber. Sie steht sich damit in einem
nicht geringen Ausmaß soziokulturell
gleichermaßen nahe. Nicht zuletzt erinnert
die verfasste Friedhofsordnung die Be-
sucher zur Memorialkultur und diszipli-
niert dazu, sich des nichtprofanen Charak-
ters dieses teilweise öffentlichen Raumes
bewusst zu sein. Ein öffentlicher, nichtin-
stitutioneller Raum würde die Möglichkeit
des freien und uneingeschränkten Zugangs
mit sich bringen.
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Die Urbanität einer Ge-
sellschaft zeigt sich nicht selten in deren
Bestattungswesen, das sich neben ökono-
mischen, hierarchischen und sozial adap-
tiven Parametern, im Zugeständnis zur
Individualität – im Erscheinungsbild der
einzelnen Grabstätten – äußert. In der Tat
wird am Lienzer Städtischen Friedhof
keine vereinheitlichte Ausstattung – mit
Ausnahme der Fluchten und der Dimen-
sionierung – bezüglich des Materials der
Grabeinfassung, der Grabsteingestaltung
gelegt wurde. (Dieser wird
heute umgangssprachlich
als „alter Friedhof“ bezeich-
net). In der Nähe befinden
sich die Soldatenfriedhöfe
für die Verstorbenen des
Ersten und später des Zwei-
ten Weltkriegs, die nördlich
des ehemaligen Patriasdor-
fer Schulhauses angelegt
und durch den parallel dazu
verlaufenden Zauchenbach
getrennt sind. An dieses
Memorialfeld schließt die
am größten bemessene und
jüngste Erweiterung nach
Nordwesten an, nämlich das
Gräberfeld des neueren
Friedhofs. Die historische
Entstehungsgeschichte der
Friedhofsanlage ist weit um-
fangreicher, als die Situie-
rungsangaben vermuten las-
sen. Interessanter Weise
zählte Platzmangel für die
zu Bestattenden nur als
einer der immanenten Be-
weggründe, warum bereits
im Lauf des 18. Jahrhun-
derts bei mäßig wachsender Bevölkerungs-
dichte eine Erweiterung angedacht wurde.
Nicht zuletzt drängten die Zustände um die
verwahrlosten Grabstätten und die bau-
lichen Verfallserscheinungen, die bis zum
Einsturz von Teilen des Mauerwerks führ-
ten, Sanierungsmaßnahmen zu treffen.
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Der Alte Friedhof um die Pfarrkirche
Nachdem nun zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts ein Teil der Friedhofseinfriedung
eingestürzt war, sollte die Anlage bei der
Pfarrkirche neu errichtet werden. Nach den
Plänen des Lienzer Baumeisters Johann
Franz Röck wurden in den Jahren 1828 bis
1831 anstelle der alten Umfassungsmauer
an der West- und an der Nordseite klassi-
zistische Arkaden errichtet, in die jeweils
eine Portalanlage eingesetzt wurde.
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Die
grundlegende Umgestaltung in einer wei-
teren Bauphase sollte erst 1924 bis 1925
mit der Errichtung des Bezirkskrieger-
9-10/2018
86. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Eleonora Bliem-Scolari
Lienz und seine Friedhöfe
Historie mit Raum für Kunst
Die Westfassade der Pfarrkirche St. Andrä mit der dreiteiligen Portalanlage,
1969 von Jos Pirkner (geb. 1927) gestaltet.
oder der Gestaltung einer Kreuzskulptur
und dergleichen vorgeschrieben, der man
zum Beispiel in Friedhofsanlagen im länd-
lichen Raum begegnen kann. Vielmehr
reiht sich hier in künstlerisch und kunst-
handwerklich nahezu exzentrischem Ab-
wechslungsreichtum eine Grabstätte an die
nächste, um in dieser Variationsbreite trotz-
dem ein gewachsenes, stimmiges Ensem-
ble zu ergeben.
Ein Blick auf die
Entstehungsgeschichte
Die Anlage der Friedhöfe in Lienz besteht
heute aus vier namentlich ausgewiesenen
Arealen
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, die in ihrem gegenwärtigen
Erscheinungsbild im Verlauf von rund 400
Jahren entstanden sind.
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Der so bezeichnete
Alte Friedhof, um die Pfarrkirche situiert,
und der architektonisch rechteckig geplante
Neue Städtische Friedhof, der nordwestlich
der Pfarrkirche als umfriedete Einheit an-