OSTTIROLER
NUMMER 11/2016
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HEIMATBLÄTTER
fiel, die Trauerfeier war beendet, der sicht-
lich tiefe Eindruck wird aber noch lange
wach im Innern der Teilnehmer bleiben.“
Die Nachfolge Kaiser Franz Josephs war
geregelt. Der einzige Sohn des Kaisers,
Erzherzog Rudolf, hatte am 30. Jänner
1889 in Mayerling Selbstmord begangen.
Durch Jahre nicht definitiv fixiert, stieg
Erzherzog Franz Ferdinand
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im Jahr 1896
zum Thronfolger auf. Er war der Sohn von
Erzherzog Karl Ludwig, Bruder des Kai-
sers. Das Attentat auf ihn und seine Ge-
mahlin in Sarajevo am 28. Juni 1914 löste
letztlich den Ersten Weltkrieg aus. In der
Thronfolge rückte nun Erzherzog Karl
nach. Der Großneffe des Kaisers war am
17. August 1887 auf Schloss Persenbeug
bei Ybbs an der Donau in Niederösterreich
geboren worden. Bei seiner Amtsüber-
nahme war er gerade 29 Jahre alt. Beamte
und Militär mussten nun auf Kaiser Karl I.
angelobt werden:
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„Die feierliche Eidesleistung an den
neuen Kaiser des in Lienz und Umgebung
liegenden Militärs fand in Lienz am Sonn-
tag, den 26. November, statt.“
Kaiser Karl war vor eine sehr schwierige
Situation gestellt. Der „alte Kaiser“, bis
heute eine legendäre Persönlichkeit der
österreichischen Geschichte, hatte die
auseinanderstrebenden Völker Österreich-
Ungarns wie ein einigendes Band zusam-
menhalten können. Trotz der eindrucks-
vollen militärischen Erfolge der öster-
reichisch-ungarischen Truppen und ihrer
Verbündeten wurden Zweifel über das
Schicksal der Monarchie wach. Der junge
Kaiser, dem der Ruf eines freundlichen
und leutseligen jungen Mannes voraus-
ging, besaß nicht die Autorität und Be-
liebtheit seines Vorgängers. Von seinem
Regierungsantritt an war er bemüht, den
Frieden herbeizuführen um den Völkern
weiteres Blutvergießen zu ersparen und
letztlich den Bestand der Monarchie zu
sichern, was jedoch nicht gelingen sollte.
Erzherzog Franz Joseph zum
ersten Mal in Tirol
Nach dem Tod Kaiser Franz Josephs I.
erschienen in der Presse aller Kronländer
Nachrufe auf seine Person und seine 68
Jahre währende Regierungstätigkeit, die
von Erfolgen, aber auch Misserfolgen ge-
kennzeichnet war. Er hatte gleichsam die
übernationale Idee der Doppelmonarchie
Österreich-Ungarn verkörpert und wurde
zu einem Symbol für eine jahrzehntelange
Geschichtsepoche. Immer wurden seine
strenge soldatische Lebensweise, sein Fleiß
und das Pflichtbewusstsein hervorgehoben.
An die Tragik seines Familienlebens
wurde auch immer erinnert: Tod des ersten
Kindes, der Tochter Gisela (1855-1857),
Erschießung seines Bruders Maximilian,
Kaiser von Mexiko (1867), Selbstmord
von Kronprinz Rudolf (1858-1889), Atten-
tat auf seine Gattin Elisabeth mit töd-
lichem Ausgang (1898), Ermordung des
Thronfolgers Franz Ferdinand (1914).
In allen Kronländern erinnerte man sich
der Besuche des Kaisers und der Begeg-
nungen mit ihm. Auch für den Lienzer
Raum und das Pustertal sind Berichte
überliefert, die hier herausgegriffen wer-
den sollen.
Das Pustertal fungierte durch Jahrhun-
derte für die Habsburger als idealer Ver-
bindungsweg von Innerösterreich zu den
Besitzungen in der Schweiz und am Ober-
rhein. Bereits Herzog Rudolf IV. der Stif-
ter passierte im Jänner 1363 Lienz und das
Pustertal auf dem Weg nach Tirol zur Er-
werbung der Grafschaft. – Maximilian I.
hielt sich 1501 und 1511 gleich mehrmals
im Tal auf. König Ferdinand I. war 1536
hier. Kaiser Karl V. befand sich auf der
Flucht vor dem protestantischen Kurfürs-
ten Moritz von Sachsen, als er im Mai
1552 in Eile in östlicher Richtung durch
das Pustertal zog. Auch alle Tiroler Lan-
desfürsten aus dem Haus Habsburg be-
suchten bzw. durchreisten das Tal.
Im 17. und 18. Jahrhundert reisten meh-
rere gekrönte Häupter durch Lienz und das
Pustertal: Maria Theresia (1738, 1765), Jo-
seph II. (1769, 1783), Leopold II. (1790).
Nach der Napoleonischen Ära war Kaiser
Franz I. der erste Habsburger, der Tirol be-
suchte und auf demWeg zum großen Frei-
schießen in Innsbruck im Mai 1816 Lienz
und das Pustertal passierte.
27 Jahre später hielt sich Franz Joseph
zum ersten Mal in der Gefürsteten Graf-
schaft Tirol auf. Zu diesem Zeitpunkt war
er noch nicht das Reichsoberhaupt, son-
dern „nur“ ein kaiserlicher Prinz. In Be-
gleitung des Grafen Karl von Bombelles
und dreier Dienstkämmerer bereisten die
jungen erzherzoglichen Brüder Franz –
Franz Joseph nannte er sich erst nach der
Thronbesteigung –, Ferdinand Max und
Karl Ludwig von der Residenzstadt Wien
aus einige Kronländer. Bombelles, aus por-
tugiesischemAdel stammend, unterrichtete
den Knaben Franz (Joseph) in Religion,
Deutsch, Französisch und Geografie. In
späteren Jahren kam der Unterricht in
Musik, Zeichnen, das er besonders liebte,
in den Sprachen des Vielvölkerstaates, in
Rechtslehre, Staatswissenschaften, Tech-
nologie und Kunst hinzu. Für die militäri-
sche Erziehung zeigte Franz (Joseph) ein
besonderes Interesse. An seinem 13. Ge-
burtstag, am 18. August 1843, wurde er zum
Oberst eines Dragonerregiments ernannt!
Die inkognito reisende, aus sieben Per-
sonen bestehende Gruppe, gelangte über
die Steiermark und Kärnten nach Tirol, er-
reichte Mitte September 1843 Lienz und
war im Gasthof „Zur Post“ am unteren
Lienzer Stadtplatz untergebracht. Die
„kaiserlichen Prinzen“ sollen sich ganz un-
gezwungen benommen und mit den
gleichaltrigen Lienzer Kindern am Platz
gespielt haben.
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Von Lienz aus ging die Fahrt weiter ins
Passeiertal, wo man den Sandhof besuchte
und mit einem Enkel Andreas Hofers
sprach.
Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt,
dass Franz Joseph bereits nach fünf Jahren
zum Oberhaupt der Donaumonarchie auf-
steigen würde. Erzherzog Ferdinand, ältes-
ter Sohn von Kaiser Franz I., war im März
1835 seinem Vater auf den Thron gefolgt.
Aufgrund seiner körperlichen und geisti-
gen Schwächen war er keine starke Per-
sönlichkeit. Seit dem Jahr 1847 gab es in
den österreichischen Ländern revolutio-
näre Tumulte und den Ruf nach Reformen
und einer Verfassung, mit der die Rechte
der Bevölkerung festgeschrieben werden
sollten. Nach dem Bekanntwerden der
Ereignisse der Pariser Feber-Revolution
wurde auch in Wien das Verlangen nach
bürgerlicher Mitbestimmung an der Regie-
rung immer heftiger und gipfelte in einer
Demonstration am 13. März, die mit Blut-
vergießen endete. Alle revolutionären
Kräfte forderten den Sturz des Staats-
kanzlers Klemens Lothar Fürst Metternich.
Der Volksstimmung wurde das Opfer ge-
bracht und Metternich unbedankt aus sei-
nen Diensten entlassen. Überdies gewährte
Kaiser Ferdinand I. Pressefreiheit, die Or-
ganisation einer Nationalgarde und ver-
sprach eine Konstitution, also eine Verfas-
sung. Das denkwürdige Dokument ist mit
15. März 1848 datiert.
Eine neuerliche Erhebung in Wien Mitte
Mai veranlasste den Hof, sich aus Sicher-
heitsgründen nach Innsbruck zu begeben.
Damit war Innsbruck durch mehr als zwei
Monate in gewisser Weise Zentrum des
Reiches, wenn auch die Regierung in Wien
verblieben war. Unter den Mitgliedern des
Hauses Habsburg befand sich Franz Jo-
seph, der sich aber bald auf den oberitalie-
nischen Kriegsschauplatz begab. Nicht nur
in Ungarn, sondern auch in dem an Tirol
angrenzenden Königreich Lombardo-Ve-
netien waren bewaffnete Aufstände ausge-
brochen. Die Zeiten blieben unruhig und
Kaiser Ferdinand war ihnen nicht gewach-
sen. Sein Thronverzicht wurde vorbereitet.
Am 2. Dezember 1848 dankte Kaiser Fer-
dinand I. nach 13 Regierungsjahren zu-
gunsten seines Neffen Erzherzog Franz Jo-
seph ab. Es ist überliefert, dass Ferdinand
in seiner etwas biederen Art zum „neuen“
Kaiser Franz Joseph, der vor ihm das Knie
Der westliche
Teil des Lienzer
Hauptplatzes
mit dem Gast-
haus „Zur
Post“, in dem
die drei kaiser-
lichen Prinzen
im Jahr 1843
untergebracht
waren; Aquarell
von Fr. v. Hell,
um 1850.
(Privatbesitz)
Foto: Fotoarchiv
Meinrad
Pizzinini