

CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
SEPTEMBER/OKTOBER 2016
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Trentino, unrealistisch unter
Mussolini, aber 30 Jahre später
war er am Ziel. 1948 trat das
Autonomiestatut in Kraft als
Region „Trentino-Alto Adige“
(Trentin – Südtirol) mit einem
Regionalrat in Trient. Doch die
italienischen Parteien über-
stimmten dort die Südtiroler
nach Belieben. Daher kam es
1957 zur zweiten verzweifelten
Großkundgebung auf Sig-
mundskron. 1946 lautete die
Parole „Los von Rom“, 1957
„Los von Trient“, eine von vie-
len Folgen der österreichischen
Fehler in Paris vor 70 Jahren.
Warum Autonomie für
Welschtirol?
An eine Autonomie für das
Trentino hatte Österreich nie
gedacht. Und das zentralistische
Rom hatte kein Interesse an
einer Sonderstellung für eine
italienischsprachige Provinz.
Falls die Großmächte wussten,
wo Trient liegt, dann interes-
sierte es sie nicht. 1993 fragte
ich Gruber, wie Trient zu den-
selben Sonderrechten kam wie
Südtirol. Der damals 84-Jährige
antwortete mit entwaffnender
Offenheit: „Es war am Ende
eines anstrengenden Verhand-
lungstages.“ Offensichtlich hielt
der nette alte Herr aus Rom
etwas länger als üblich Grubers
Hand und fragte artig in seinem
tirolerischen Deutsch: „Herr
Außenminister, hätten Sie etwas
dagegen, meine Heimat Tren-
tino mit in die Autonomie zu
nehmen?“ Gruber hatte nichts
dagegen und das war‘s. Ein nor-
maler Politiker gibt nur etwas
her, wenn er dafür etwas ande-
res oder mehr bekommt. Und
was bekam Gruber? Einen war-
men Händedruck.
Internationale
Hintergründe
In der ersten Auflage meines
Buches „1.000 Jahre Tirol“
verteidigte ich Gruber, er sei zu-
mindest im moralischen Sinn
schuldlos. In der fünften Auf-
lage sah ich das anders. Karl
Gruber verbrachte den Zweiten
Weltkrieg als Elektrotechniker
in Berlin. Im Großdeutschen
Reich erfuhr man von der gro-
ßen Welt nur das, was Goebbels
wollte, also fast nichts oder das
Falsche. Degasperi verbrachte
diese Jahre im Zentrum des bes-
ten Geheimdienstes der Welt,
im Vatikan. Degasperi wusste
genau, welche Staaten nach
1945 Einfluss hatten. Die Öster-
reicher richteten Denkschriften
an Frankreich und England. Sie
waren entzückt, wenn die Eng-
länder etwas Verständnis zeig-
ten. Degasperi kümmerte sich
nicht um diese zerbröckelnden
Kolonialmächte, die 1919 in
Paris noch alles diktiert hatten.
Das Folgende erfuhr ich erst
2002 durch die exzellenten
Forschungen von Viktoria Stadl-
mayer,
Südtirol-Referentin
Tirols von 1945 bis 1985. Stadl-
mayers Buch ist etwas kompli-
ziert, angefangen vom kaum
verständlichen Titel: „Kein
Kleingeld im Länderschacher. –
Südtirol, Triest und Alcide
Degasperi 1945/46“. Schon der
Titel ist eine Kritik an Gruber. Er
nannte Südtirol „Kleingeld im
Länderschacher“. „Mein Buch
wird in Südtirol Aufsehen erre-
gen“, meinte Stadlmayer, „aber
in Italien wird es wie eine
Bombe einschlagen.“ Doch wis-
senschaftliche Arbeiten haben
nur selten Bombencharakter.
Länderschacher
Kaum war der brasilianische
Außenminister Neves da Fon-
toura zum ersten Mal in Paris,
meldete sich bei ihm ein Au-
ßenminister in Sachen Südtirol.
Gruber wurde erwartet, doch
vor der Tür stand Degasperi:
„Ihr seid die große romanische
Macht am Tisch der Sieger. Ihr
werdet doch die Mutter Rom
unterstützen bei ihren Ansprü-
chen auf Südtirol und Triest.“
Höflich der Brasilianer: „Gerne
unterstützen wir eure Ansprü-
che auf Triest, aber nehmen Sie
zur Kenntnis, Südtirol ist ein
Teil Österreichs“. Der Brasilia-
ner kannte die Südtirolfrage bis
ins Detail. Deshalb wandte sich
Degasperi sofort an die Sow-
jets: Sollte die UdSSR „seinen“
Südtirolvertrag inklusive Tren-
tino unterstützen, dann verzich-
tet Italien auf Istrien. Das alt-
österreichische Istrien, venezia-
nisch geprägt, hatte Italien 1919
so wie Südtirol erhalten. De-
gasperi verschacherte es an den
Partisanenhelden Tito. Das war
Stadlmayers „Bombe“. Degas-
peri verriet nicht die Südtiroler,
wie oft behauptet wurde, son-
dern die Italiener Istriens!
Von Prof. Dr.
Norbert Hölzl
Warum war Brasilien so wich-
tig? Brasilien war mit den USA
in den Zweiten Weltkrieg einge-
treten, mit kleiner Streitmacht
und großen Flugplätzen in Nord-
ostbrasilien für den US-Nach-
schub nach Nordafrika und
Italien. Während sich andere zer-
bombten, lieferte Brasilien pau-
senlos Rohstoffe. 1945 war es
der reichste Staat der Welt, um-
worben von USA und Sowjets.
Es ging darum, ob sich in La-
teinamerika Revolutionen mit
Sichel und Hammer durchsetzen
oder westliche Demokratien. In
Paris war nur der brasilianische
Außenminister. Er vertrat alle 21
lateinamerikanischen Staaten.
Der Staat Brasilien war eine
Gründung der österreichischen
Kaisertochter Leopoldina. Fünf
Jahre nach ihrer Ankunft in Rio
veränderte sie die Weltkarte nur
durch ihr diplomatisches Ge-
schick. Sie machte 1822 die
größte Kolonie zum unabhängi-
gen Staat. Die in Brasilien auch
MO bis FR 9.00 - 18.00 Uhr
SA 9.00 - 17.00 Uhr
L E B E N
BRAUCHT
ERINNERUNG
Allerheiligen Ausstellung
vom 30.09. bis 29.10.2016
Ideen für geschmackvollen
Grabschmuck und
Grabgestaltung
115156
Der damalige brasilianische
Außenminister Joao Neves da
Fontoura.
roßer Sprengkraft