REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
AUGUST/SEPTEMBER 2018
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ja leider seit langer Zeit schwe-
rer Alkoholiker.“ Manchmal
kommt er sie besuchen. „Dann
ist er zwar immer sehr nett,
aber vergisst nie darauf, mich
zu fragen, ob ich nicht doch ein
paar Euros für ihn übrig hätte“,
nimmt sie es humorvoll. „Und
manchmal schaffe ich es tat-
sächlich, ihm ein bisschen Geld
zu schenken. Das freut mich
dann.“ Immer wieder überkom-
men sie allerdings große Ein-
samkeitsgefühle, da persönli-
che Kontakte verschwindend
gering geworden sind. „Da es
mir furchtbar peinlich wurde,
mich mit einer Bekannten oder
Freundin zu verabreden und
dann kaum bis kein Geld in der
Tasche zu haben. Bis auf mei-
nen Bruder wissen dies aber
kaum Menschen.“ Denn Anna
ist ein sehr stolzer Mensch.
Lässt sich Armut nicht
anmerken
„Nach außen“ trägt sie ihre
Armut nicht. Man ahnt nicht
einmal ansatzweise, dass sie
täglich jeden Euro x-Mal um-
drehen muss. Sie weiß etwa
auch von der sozialen Aktion in
gewissen Kaffeehäusern einen
Kaffee umsonst trinken zu
können. „Doch ich könnte mich
nie in ein Kaffeehaus setzen und
einen gratis Kaffee bestellen.
Dann weiß zumindest die Kell-
nerin oder der Kellner, dass ich
hilfsbedürftig bin. Die Aktion ist
aber sehr gut gemeint“, setzt sie
nach. Ob ihre Verletzungen
durch den Unfall je besser wer-
den und sie irgendwann wieder
arbeiten werde können? „Die
Ärzte sagen definitiv nein. Ich
sage ja und warte hoffnungsvoll
auf Besserung.“ Mittlerweile
wartet Anna schon viele Jahre
darauf. „Aber ich bin ja Gott sei
Dank noch nicht so alt“, meint
sie und lächelt. Sie sammelt mit
großer Beharrlichkeit Berichte
von Menschen, die schon auf-
gegeben wurden und wider
Erwarten einen Aufschwung im
Leben schafften – in körper-
licher, geistiger, psychischer,
sozialer und finanzieller Hin-
sicht.
„Lese jeden Tag einen
Bericht“
Sie hat schon einige Mappen
mit solchen Berichten beisam-
men. „Ich lese jeden Tag einen
Bericht. Manche kenne ich
schon Wort für Wort auswendig
– so oft ging ich ihn schon
durch. Ich denke dann an diese
Menschen und versuche mir
vorzustellen, was sie derzeit
machen und wie glücklich sie
sind, dass sie einen Neustart
vollbringen konnten. Sie fühlen
sich für mich wie Verbündete
an. Das gibt mir selbst sehr viel
neue Kraft und Mut.“
Martina Holzer
Jeder 10-€-Schein bedeutet für Anna schon viel Geld.
mitten am Hauptplatz
in Lienz
85364
litterte sie in die Armut