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24. Januar 2024

"Herdenschutzmaßnahmen in der Schweiz greifen nicht"

70 % der Nutztierrisse in Graubünden passieren in geschützten Herden. Nach Millionen-Investitionen in den Herdenschutz setzt nun auch die Schweiz auf Wolfsabschüsse. „Wir sollten daraus lernen“, sagt LK-Präsident Siegfried Huber.
"Herdenschutzmaßnahmen in der Schweiz greifen nicht"
„Entnahmen sind der beste Herdenschutz.“ LK-Präsident Siegfried Huber. Foto: LK Kärnten

In der Diskussion rund um die Rückkehr von Wölfen nach Kärnten wird von Seiten diverser Umweltorganisationen gefordert, dass in Kärnten flächendeckend Herdenschutzmaßnahmen – das heißt stromführende Zäune und scharfe Hunde – umgesetzt werden müssen, um die Herden auf Kärntens Almen ausreichend gegen Wolfsangriffe zu schützen. Als Beispiel wird dabei immer wieder die Schweiz ins Treffen geführt, wo seit Jahren massiv auf Herdenschutzmaßnahmen gesetzt wird. Millionen Franken werden jährlich investiert.

Wölfe lernen schnell

Wie Diplombiologe Marcel Züger, Naturschützer und Absolvent der ETH Zürich, im Rahmen eines Pressegesprächs berichtet, stellt sich die Situation in der Schweiz jedoch völlig anders dar: „Wölfe sind schlaue Jäger, die lernen, Herdenschutzmaßnahmen zu umgehen oder zu überwinden. In Graubünden stammten im Jahr 2022 70 % der gerissenen Nutztiere aus Herden, in denen Schutzmaßnahmen gegen Wölfe gesetzt wurden.“ Für das Jahr 2023 liegen noch keine endgültigen Daten vor. Züger, der auf Einladung des Kärntner Almwirtschaftsvereins nach Kärnten gekommen ist, bezeichnet in diesem Zusammenhang den Herdenschutz als „Wettrüsten“, das nicht gewonnen werden kann.

Der Biologe berichtet, dass in der Schweiz der Wolfsbestand dabei ist, völlig aus dem Ruder zu laufen: „Die Vermehrungsrate der Wölfe beträgt seit 2015 über 40 % pro Jahr, obwohl jährlich etwa 10 % des Bestandes erlegt werden. Mit 14 Rudeln auf 7000 Quadratkilometern zählt Graubünden zu den Regionen mit der dichtesten Wolfspopulation im Alpenraum. Ohne aktives Wolfsmanagement, das heißt gezielte Entnahmen von Einzeltieren und ganzen Rudeln, wird es nicht weitergehen.“

Schutzstatus bedroht Artenvielfalt

Als Biologe sieht Züger aber nicht nur die Alpwirtschaft in der Schweiz durch die Rückkehr der Wölfe bedroht, sondern auch den Naturschutz. „Die extensive Weidewirtschaft hat über viele Jahrhunderte die Almen zu einem Hotspot der Artenvielfalt gemacht. Es gibt viele Arten – auch in Kärnten – die es nur deswegen gibt, weil Tiere die Almen beweiden. Bei der Aufgabe der Weidewirtschaft drohen viele alpine Matten und auch Weiden in den Tallagen zu verbuschen, und viele Tier- und Pflanzenarten zu verschwinden. In Kärnten gibt es einigeTier- und Pflanzenarten, die weltweit nur hier vorkommen. Dazu zählt zum Beispiel die Kärntner Gebirgsschrecke, die in extensiven Weiden lebt. Wenn die Bewirtschaftung wegfällt, dann stirbt die Art vollständig aus.“ Für Züger steht daher die Frage im Raum, ob vor diesem Hintergrund der hohe Schutzstatus von Wölfen gerechtfertigt sei. „Wölfe sind nicht vom Aussterben bedroht. Im Gegenteil, sie vermehren sich in ganz Europa prächtig. Im Gegensatz zu anderen Arten der Kulturlandschaft, die immer mehr auf dem Rückzug sind. Es ist dringend nötig, dass der Schutzstatus der Wölfe abgesenkt wird.“

"Entnahmen sind der beste Herdenschutz"

Für LK-Präsident Siegfried Huber wird durch die Ausführungen des Schweizer Biologen klar, dass es ein Märchen ist, dass Herdenschutzmaßnahmen auf Almen funktionieren würden: „Die Schweiz wird uns immer als Musterland für den Herdenschutz vorgehalten. Tatsache ist, die Eidgenossen buttern seit Jahren Millionen Franken in Schutzmaßnahmen und kommen jetzt trotzdem zu dem Punkt, wo sie schießen müssen. Wir sollten daraus lernen und nicht das Geld für Herdenschutzmaßnahmen beim Fenster rauswerfen. Das ist auch den Steuerzahlern nicht zu erklären“, betont Huber. Für den LK-Präsidenten ist der Kärntner Weg, Wölfe zu erlegen der einzig richtige. „Die Wolfsverordnung hat sich bewährt. Die Risse sind von rund 400 im Jahr 2022 auf rund 130 im Jahr 2023 zurückgegangen. Grund sind natürlich die vielen Vergrämungen und die acht Abschüsse“, erklärt Huber, der sich bei der Kärntner Jägerschaft bedankt, dass sie den Alm- und Bergbauern in dieser Frage zur Seite steht. Huber bedankt sich auch bei der Kärntner Landesregierung, die in ihrer Regierungssitzung Mitte Jänner die Kärntner Wolfsverordnung verlängert hat. „Ich bin sehr froh über die Verlängerung bis das neue Alm- und Weideschutzgesetz vorliegt. Mit diesem Gesetz sollten Abschüsse noch unbürokratischer möglich werden. Jetzt sind die Juristen am Zug. Sobald ein Begutachtungsentwurf vorliegt, werden wir uns als LK Kärnten intensiv in die Diskussion einbringen.“

 Auch für den Obmann des Kärntner Almwirtschaftsvereines, Josef Obweger, zeigt das Beispiel Schweiz, wie wichtig die Umsetzung der Kärntner Wolfsverordnung ist. Für Obweger kommt abgesehen davon, dass Herdenschutz auf den Almen offensichtlich – wie das Beispiel Schweiz zeigt – schon alleine technisch nicht umsetzbar ist, ein weiterer Aspekt hinzu: „Wir haben derzeit in Kärnten noch eine flächendeckende Bewirtschaftung unserer 1790 Almen. Herdenschutz hätte theoretisch auch nur dann einen Sinn, wenn er flächendeckend umgesetzt würde. Sonst wird das Problem nur von einer Alm auf die nächste verlagert. Unsere Almen sind jedoch überwiegend kleinstrukturiert. Auf 67 % der Kärntner Almen werden weniger als 20 Rinder aufgetrieben, zwei Drittel unserer Almen werden von Nebenerwerbslandwirten bewirtschaftet. Diese hätten schon alleine zeitlich nicht die Ressourcen, jeden Tag auf der Alm bei den Herdenschutzhunden zu sein und die Elektrozäune zu kontrollieren. Auch sollte man sich als Almbesucher einmal bildlich vorstellen, was es heißen würde, wenn einem bei einer Wanderung auf jeder einzelnen Alm Herdenschutzhunde begegnen, deren Aufgabe es ist, die Herde gegen jeden Eindringling, also auch den Menschen, zu verteidigen!“