OSTTIROLER
NUMMER 12/2016
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HEIMATBLÄTTER
Mantelteilung des hl. Martin, Graffito, Pfarrjugendheim St. Andrä, Lienz, 1955.
Foto: Andreas Pizzinini
„Bethlehem“, Kohlezeichnung, 16. 10. 1978.
Foto: Archiv O. Kollreider
Realwelt, die doch dinglich ist. Und doch
wäre es quer, Kollreider als einen Rea-
listen zu bezeichnen. Seine Erfassung des
Menschen sieht immer mehr, als es das
schnelle Auge vermag. Er schaut in das
Innere und erfasst in wenigen Strichen, in
einer expressiven Abstrahierung des Rea-
len das Gegenwärtige seiner Bilder.
Man kann sagen, dass Kollreider ein Ge-
stalter einer durchaus neuen Sakralikono-
graphie ist, die ganz aus seinem Innern
kommt. Hier wollte er sich nicht vorgefer-
tigten und abgeschauten Lösungen beu-
gen, hier entwickelte er in großer künstle-
das Minimum, am liebsten auf Maria und
das Kind, schon Josef erscheint in seiner
Bildwelt als ein Störfaktor in einer heils-
typologisch vorausbestimmten innigen
Beziehung. War es seine tief empfundene
Liebe zur Mutter, die den Vater eher als
streng erscheinen ließ? Formal können Be-
ziehungen gezogen werden zu den Bret-
terkrippen eines Alois Oberlechner in der
Lienzer Pfarrkirche
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, obwohl Oberlechner,
was Kollreider nicht tat, Anleihe genom-
men hatte bei Gebhard Fugel, dem Haupt-
vertreter des religiösen Realismus. Ganze
Kreuzwegzyklen sind danach entstanden.
Bei Kollreider wäre eher Johann Baptist
Oberkofler zu zitieren, man denke an die
Bretterkrippe im Brixner Dom, die dieser
1939 gefertigt hatte. Bei beiden gibt es die
Reduktion auf Figurenpartien, das Heraus-
heben des Wesentlichen.
Wie oft konnte ich in den letzten Jahren
beobachten, dass Kollreider quasi in Ab-
stimmung zu den Festen im Kirchenjahr
seine Skizzen anfertigte. Es ist ein Leben
und Glauben im Rhythmus der Zeit, in der
Kadenz heiliger Festzeiten, die sich von
der Erfahrung des Alltags abheben und
sich unauslöschlich in den persönlichen,
geistigen Kalender eingeschrieben haben.
Zu Weihnachten Krippenbilder, zu Drei-
könig die Weisen aus dem Morgenland, an
den Sonntagen mit speziellen Perikopen
die entsprechenden Ereignisse, an Ostern
Passion und Auferstehung und vor allem
Emmaus, ein Bild das er liebt. Im Zeich-
nen lag die besondere Form der Frömmig-
keit, die alles sichtbar macht, was dem
Auge ansonsten verborgen bleibt. Ein
Innen nach außen gekehrt, ein Unsichtba-
res erschaut, verschwommen Wahrnehm-
bares in Farbe getaucht und somit reali-
siert. In seiner Bildermatrix hielt er sich an
Vorstellungen, die von einer vorkonzilia-
ren Bilderkultur getragen war, von einem
religiösen Expressionismus, die Kraft in
Figuren und Zustände legte und letztlich
den Triumph feierte, trotz Weltkriegen und
Kommunismus den Katastrophen entkom-
men zu sein. Mit dem Abstrakten konnte
und wollte sich Kollreider nicht abfinden.
Es läge zu fern einer schon erfassten
rischer Freiheit seinen „Herrgott“. Man
sehe sich dafür Kollreiders Kreuzwege an!
In der letzten Ausstellung, die ich anläss-
lich seines 90. Geburtstages aus dem rei-
chen Material im Besitze des Künstlers im
Gemeindehaus von Strassen konzipieren
durfte, legte ich Wert auf eine Auswahl,
die Werke der 60er-, 70er- und 80er-Jahre
versammelt. Damals konnte erstmals ein
großes Kreuzwegbild ausgestellt werden,
in dem Kollreider alle 14 Stationen der
1731 von Papst Clemens XII. genehmigten
Andacht versammelte. In der Treue zur
Vorlage fand Kollreider zu einer neuen for-
malen Lösung, indem er die Kreuzesfälle
zentral positionierte, unten rechts die
Kreuzigung selbst inszenierte, darunter im
Dunkel das Vesperbild und den Grablieger.
In Zeichnungen hatte er einzelne Stationen
auch entworfen, in denen auf hochforma-
tigen Blättern mehr oder weniger nur das
Antlitz Christi zu sehen ist, eine Reduktion
auf das Wesentliche. In diesen Jahren hatte
er sich auch am Gründonnerstag abends
eingesperrt, um die Nacht durchzumalen,
sozusagen, die gesamte Dramaturgie zeit-
gleich nachzuerleben und in eine lesbare
Form zu bringen. Einzelne Kruzifixe zei-
gen im pastosen Acrylauftrag geradezu die
fromme Überarbeitung des Bildes, das an
Düsternis nicht zu überbieten ist. Man
muss in der Kunstgeschichte lange zu-
rückblicken, umVergleichbares zu finden.
In den Barock, der in den plastischen Pest-
kreuzen ebenfalls eine blutüberlaufene
Oberfläche schuf. Schon 1969 hatte er für
seine St. Oswalder Dorfkirche den Kreuz-
weg als Graffito an der Orgelbrüstung
gestaltet. Kollreider war kein Freund einer
religiösen Aufklärung, die nur kognitiv