Die Gleichwertigkeit von Kunst und an
lokalen kirchlichen Traditionen geschultem
Volksempfinden wird hier beansprucht und
eine Einstellung, die auf der Grundlage des
religiösen Sujets jedoch auch um Ver-
ständnis für
„Egger-Lienz, den uns sonst
so formfremden Meister“
bemüht ist.
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Während des Krieges kam der Verein
zum Erliegen und erhielt erst nach seiner
Neugründung 1957 als „Lienzer Krippen-
verein“ einen neuen Anlauf.
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Das Anlie-
gen jedoch ist dasselbe geblieben: War es
einst
„krassester, abstoßendster Materia-
lismus“
, durch den man die religiösen
Werte bedroht sah
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, versuchte man diese
nun
„vor dem lauten, aber seelenlosen
Wirtschaftswunderkind“
zu beschützen
„und unsern Menschen eine neue Heimat
des Herzens zu schaffen.“
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Das von Karl
Maister erstmals ins Blickfeld genommene
Verhältnis zwischen kirchlicher Kunst und
Volkskunst aber hatte sich deutlich in
Richtung der Letzteren verschoben. Ihr
Symbol war die „Tiroler Krippe“, die ent-
gegen der auf das Wesentliche reduzierten
Krippe der „Nazarener“ und der auf histo-
rische Genauigkeit bedachten „orientali-
schen Krippe“ Ambiente und Protagonis-
ten in vermeintlich zeitgenössische und
damit zeitlose lokale Gewänder der jeweils
engeren Heimat kleidete.
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Mitte der 1960er-Jahre malte Oberlech-
ner eine Bretterkrippe für die Kirche zur
Hl. Familie in Lienz. Der noch an vorkon-
ziliaren Gebräuchen orientierte, 1960/63
durch Otto Gruber und Hans Buchrainer
errichtete Neubau bricht zwar nicht voll-
ständig mit der Tradition, seine schnörkel-
lose Sachlichkeit aber bedeutete gewiss
eine Herausforderung an die Rezeptions-
gewohnheiten der Lienzer Kirchenbesu-
cher. Da der von Jos Pirkner projektierte
Hochaltar mit Ausnahme des Tabernakels
nie zur Ausführung kam
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, bot die weitge-
hend leere, lichtdurchflutete Apsis offenbar
damals schon dem Bedürfnis nach kirchli-
chem Bildschmuck eine willkommene
Folie. Unter den geläufigen Optionen
wählte Oberlechner die nazarenische
Variante der Weihnachtsdarstellung und
beschränkte sich auf die Geburtsgruppe,
eine Dreiergruppe betender Hirten sowie
zwei ein Spruchband haltende Engel dar-
über. Wie von zeitgenössischen Aufnah-
men abzulesen, war das Figurenensemble
in einer Ebene in eine weitgehend neutrale
Umgebung gestellt, was der räumlichen
Inszenierung der Erzählung aber keinerlei
Abbruch tat – im Gegenteil: Die heutige
Aufstellung in einer eigens dafür auf dem
Kirchplatz gebauten Hütte unterdrückt,
namentlich durch die schräg in den Raum
geführten Motive am Rand, wesentliche
Informationen.
Oberlechner kopierte die Muttergottes
mit dem Kind und die Hirten verhältnis-
mäßig genau nach Karl Untergassers
Krippe für die Kirche von Grafendorf,
passte jedoch mit kühlen Pastelltönen das
Kolorit an das Ambiente und den Zeit-
geschmack an. Stilistisch verwandt ist eine
„Schmerzensmutter“ in der Krieger-
gedächtniskapelle in Schlaiten, die Alois
Oberlechner wohl anlässlich eines der bei-
den Gedenkjahre, 1964 oder 1968, gemalt
hat. Der hl. Josef ist aus der 1930 von J. E.
OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2016
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HEIMATBLÄTTER
Papierkrippe von Johann Baptist Oberkofler; Druck: A. Weger in Brixen, Blatt II.
Rep.: Rudolf Ingruber
Josef Oberthaler, Bretterkrippe im Freilichtmuseum „Klösterleschmiede“, Aufstellung
2015/16.
Foto: Rudolf Ingruber
Vorbild von Zirl, Wenns und Innsbruck –
im Lienzer Freilichtmuseum „Klösterle-
schmiede“ berichten.
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Da die weiteren
Umstände einigermaßen im Dunkel und
auch nicht mehr genau zu rekonstruieren
sind, lohnt es sich, Kollreider im Origi-
nalton zu Wort kommen zu lassen:
„Aus verschiedenen begutachteten Vor-
lagen entschied man sich unter Berück-
sichtigung des alten Gebäudes schließlich
für eine bäuerliche Bretterkrippe nach
dem konventionellen Muster der Papier-
krippe von Josef
[sic!]
Oberkofler aus Bri-
xen. Der einzig dafür in Frage kommende
Künstler war natürlich der mehrfach er-
probte Krippenmaler Alois Oberlechner
(Lienzer Pfarrkirche und Hl. Familie, Aß-
Schreiber in Esslingen verlegten Papier-
krippe vergrößert.
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Hatten sich die bis
Paul Troger zurück nachzuweisenden
Ausschneidebögen einst an künstlerisch
bedeutenden Originalen orientiert
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, so ver-
ursachen jetzt neue Möglichkeiten in
Bezug auf Reproduktion und Vertrieb eine
kulturgeschichtliche Schubumkehr: Das
Industrieprodukt vereinnahmt den breiten
Geschmack und die Kunst, und die Popu-
larisierung der Hauskrippen wirkt auf die
Formen der Kirchenkrippe zurück.
Im Dezember 1967 konnte Franz Koll-
reider, Kustos des Museums auf Schloss
Bruck und damals noch Obmann des Lien-
zer Krippenvereines, stolz von der Auf-
stellung einer Bretterkrippe – nach dem