Der „Auferstandene Christus“ in
der Kriegergedächtniskapelle in
Lienz gilt noch heute als ein Para-
digma des radikalen Bruchs mit der
Tradition, den die Kunst im ersten
Viertel des 20. Jahrhunderts voll-
zog. Gabriel Forcher, zu dieser Zeit
Mesner der Stadtpfarrkirche St.
Andrä, erinnert sich 50 Jahre später,
wie Egger-Lienz 1925 sein Ge-
mälde einem handverlesenen Kreis
zum ersten Mal präsentierte:
„Anwesend waren nur Dekan
Stemberger, Dr. Garber, der Lan-
deskonservator, Egger-Lienz und
ich. Ich musste den Verschlag öffnen
und das Bild auspacken. Nach einer
beklemmenden Stille unter den Be-
schauern ergriff Egger-Lienz das
Wort: ‚Na, was sagen Sie dazu?‘
Nach einer Pause sagte Dr. Garber
nur: ‚Eine eigenartige Auffas-
sung.‘“
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Die Szene lässt den Skandal kaum
erahnen, der, ihre Protagonisten all-
mählich aus dem Zentrum der Auf-
merksamkeit drängend, am Ende
den Kunstverstand der Osttiroler
Bevölkerung im Allgemeinen und
ihres Klerus im Besonderen für
Jahrzehnte pauschal ins Zwielicht
gerückt hat.
Die benachbarte Pfarrkirche St. Andrä,
welche damit im wahrsten Sinne und
unwiderruflich zum Nebenschauplatz der
sakralen Kunst des 20. Jahrhunderts ver-
kam, erhielt zu Weihnachten 1930 ein Aus-
stattungsstück, das aus heutiger Sicht mit-
telbar auch eine Antwort auf die leidige
Frage nach den Ursachen der durch Eggers
„Auferstandenen“ ausgelösten Irritation zu
geben vermag. Die immer noch, wenigs-
tens in Teilen, alljährlich aufgestellte
Bretterkrippe wurde von Dekan Gottfried
Stemberger in Auftrag gegeben, Gabriel
Forcher besorgte die Tischlerarbeiten. Als
federführenden Künstler aber konnte man
den Lienzer Maler Alois Oberlechner
gewinnen.
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Oberlechner wurde am 6. Juni 1891 in
Innsbruck geboren, gehörte also jener Ge-
neration an, von der noch ungleich stärkere
Impulse für die österreichische Malerei der
Moderne ausgehen sollten als von Egger-
Lienz. Seine Mutter war eine äußerst an-
gesehene Hebamme, deren Fortschritt-
lichkeit sich u. a. dadurch ausdrückte, dass
sie als erste Frau in Lienz mit einem Fahr-
rad unterwegs war. Sein Vater, der unter
dem Vulgonamen „Tauferer Toni“ be-
kannte Tierarzt Anton Oberlechner, dessen
kräftige Anatomie Eggers „Sämann“ als
Modell gedient haben soll, war offenbar
auch ein kunstsinniger Geist: Er
förderte das zeichnerische und
malerische Talent seines Sohnes,
seit er von dem berühmten Lienzer
Künstler persönlich darauf auf-
merksam gemacht worden war.
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1908/11 besuchte er die Mal-
schule Heinrich Knirr in München,
1914/15 begann er eine Ausbildung
bei August Stephan in Wien
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,
die aber durch den Wehrdienst im
Ersten Weltkrieg sowie eine zwei-
jährige Gefangenschaft in Ungarn
unterbrochen und danach nicht
mehr fortgesetzt wurde. Stattdessen
fand Oberlechner eine Beschäfti-
gung bei der Firma Ladinig in Spit-
tal a. D., in deren Auftrag er u. a.
sämtliche Ölbilder und Fresken der
Stiftskirche in Millstatt restaurierte.
In Spittal lernte er auch Marianne
Amlacher kennen, die er 1926 ehe-
lichte. Das Paar wohnte zunächst
im Schloss Bruck, bezog aber nach
der Geburt des zweiten von vier
Kindern eine Mietwohnung in der
Defreggerstraße in Lienz.
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Als „freischaffender“ Maler und
Zeichner betätigte Oberlechner sich
in den klassischen Fächern Still-
leben, Porträt und Landschaft und
blieb dort, auch wenn ein Kritiker noch
dem Siebzigjährigen „in neuer Kunstrich-
tung problematisch zu experimentieren“
vorwirft
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, weitgehend konventionell. Dies
gilt auch und vor allem für eines seiner
spektakulärsten profanen Werke, den 1945
gemalten und vom selben Kritiker als
Präzisionswerk gerühmten „Spitzkofel“.
Oberlechner schuf das Gemälde in zwei-
monatiger Arbeit vom „Standort Jäger-
kaserne aus“, der ihm damals noch freie
Sicht auf sein Motiv gewährte und in des-
sen Nähe ihm auch ein Atelier zur Verfü-
gung stand. Wenn der vorliegende Beitrag
jedoch speziell sakrale Werke in seinen
Fokus nimmt, so nicht zuletzt deshalb,
NUMMER 1-2/2016
84. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Der Maler Alois Oberlechner (1891-1982) im Alter.
Foto: Foto Dina Mariner, Lienz
Rudolf Ingruber
„… unsern Menschen eine neue
Heimat des Herzens zu schaffen“
Alois Oberlechner und die christliche Kunst des 20. Jahrhunderts