OSTTIROLER
NUMMER 7/2016
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HEIMATBLÄTTER
Der nicht mit Namen bekannte Autor ge-
mahnt nun an die schwere Kriegszeit, in
der Mütter, Väter und Kinder beim Herr-
gott am Kreuz Trost finden möchten. Und
dann leitet er zum Innichner Kruzifix über.
In tiefsinnigen Gedanken werden die
Charakteristika eines romanischen Kreuzes
auch für kunsthistorisch ungebildete Laien
herausgestellt. Hier ist nicht – wie in der
Gotik – der leidende Heiland, von Wunden
übersät, mit der Dornenkrone auf dem
Haupt und mit schmerzvollem Gesichts-
ausdruck zu sehen, sondern Christus als
König, mit einer „echten“ Krone ge-
schmückt. Er steht mit beiden Beinen ne-
beneinander symbolisch auf einem
menschlichen Kopf, der allgemein als Kopf
des Adam gedeutet wird.
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Die Strahlen-
bündel am Haupt und die Reliquienkapsel
in Form eines mit einem Strahlenkranz um-
gebenen Herzen auf der Brust Christi sind
spätere Zutaten, die bei der Restaurierung
im Jahr 1969 wieder verschwanden.
Nach allgemeinen Bemerkungen fordert
der Verfasser des Artikels auf, das monu-
mentale Kruzifix, den „Kriegsflüchtling“,
innig zu betrachten:
„Lieber Leser, ich gehe jetzt zu einem
alten, alten Kreuzbilde, zu einem Mirakel-
bilde, wie unsere lieben, kernigen Tiroler-
väter vor hundert Jahren festgläubig sag-
ten. Gehst du mit? Die Umgebung ist dir
bekannt, nicht wahr? ‚O ja, das ist unsere
Pfarrkirche, da bin ich vor hübsch vielen
Jahren getauft worden.‘
Siehst du! Damals haben sie dir das
erstemal das hl. Kreuz auf dein Kinderge-
sicht gezeichnet, wenn‘s nicht deine brave
Mutter schon vorher getan hat. Aber das
Kreuz, das ich dir heute zeige, das war da-
mals noch nicht bei uns, das ist erst im Juli
letzten Jahres gekommen. Ein Kriegs-
flüchtling ist‘s, vor den Welschen hat sich‘s
geflüchtet, das ehrwürdig, alte, große
braune Innichner Kreuz.
Schau es nur an, aber lange, lange, es ist
der Mühe wert. Sag‘, ist es nicht, als schau-
test du der Unendlichkeit Gottes ins Auge?
Der da am breiten, dunklen Kreuzesholze
hängt, ist kein leidender, gemarterter, blut-
überströmter, zu Tode gequälter Men-
schensohn. Er ist das ewige Wort des ewi-
gen Vaters, der in die Zeitlichkeit hernie-
dersteigt, um den Fluch von der Menschheit
zu nehmen und der nun als König am
Kreuze herrscht und siegt und triumphiert
über Hölle und Tod und Sünde. Nicht der
furchtbare Dornenkranz schlingt sich mehr
um seine Stirne, sondern die majestätische
Königskrone. Drei Strahlenbündel künden
die Gottheit in Menschengestalt. Flach aus-
gestreckt, höchst einfach geschnitzt, ruhen
die heiligen Glieder auf dem Kreuzbalken
und stützen sich die Füße, mit zwei Nägeln
durchbohrt, auf einen ebenso einfach ge-
schnitzten überlebensgroßen Kopf, der uns
an das Haupt des sündigen Adam erinnern
mag. Gerade in dieser Einfachheit liegt die
überwältigende Wucht, die fast erdrückende
Größe, die dem Beschauer etwas die Be-
klemmung aufzwingt. Aber unser Gott will
sich uns nicht als der Furchtbare zeigen,
wie einst auf Sinai dem zitternden Volke,
das beweist das von einem Strahlenkranze
umgebene Herz auf der Brust des Heilan-
des, das Herz, das allen geöffnet ist, wie
auch der bei allem Ernst innigmilde Zug im
Antlitze des Herrn. Man fühlt
[ … ]
aber
auch Macht und Gerechtigkeit genug, um
seine Feinde zu zerschmettern. Und doch
klar
[!]
manch in der harten Zeit schwach-
mütig gewordene Seele: ‚Ach, er ist jetzt
selber geflohen, der uns retten sollte vor
feindlicher Uebermacht‘. Nein, nicht geflo-
hen ist er, von seinem treuen Volke, das ihn
als höchsten Schatz hochhielt, hat er sich
retten lassen, um als Lohn für diese Treue
von seiner neuen Heimat aus segnend die
Hände zu breiten über Volk und Land.“
Der Autor erinnert kurz, wie es zur Über-
siedlung des „Flüchtings“ nach Lienz kam:
„Daß wir Lienzer es gerade verdient
hätten, ein so allheiliges Gut aufzunehmen
und hüten zu dürfen, wirst du nicht be-
haupten, lieber Leser. Der ehrwürdige
Flüchtling, welcher vielleicht das erstemal
sein Innichen verließ, ist in unser Städt-
chen gezogen, ehe wir darum wußten.
Aber ein Verdienst haben wir doch. Ein
Plätzchen hat das Innichner Kreuz gefun-
den, so schön und passend, daß die Lien-
zer und Pusterer sich darüber nur freuen
können. Unser allverehrter hochwürdiger
Herr Dekan Gottfried Stemberger hat das
veranlaßt. Am 16. Juli vergangenen Jahres
brachte ein Wagen sorgfältig umhüllt die
teure Bürde und bald hernach thronte das
Kreuz hoch und majestätisch zwischen den
marmor-grauen, hohen Säulen des linken
Wandmalerei an der Nordseite der Pfarr-
kirche St. Leonhard in Kartitsch mit
Abbildung der viel verehrten Innichner
Kreuzigungsgruppe, um 1830, im Jahr
1992 aufgedeckt.
Foto: Peter Leiter
Barockes Andachtsbildchen mit der In-
nichner Kreuzigungsgruppe und den er-
klärenden Texten: „Crux Inticensis San-
guineo sudore miraculosa“ und „Wahre
abbildung des wunderthätigen Crucifix, so
Ao. 1413. zweymahlen häuffiges blut ge-
schwizet, und in der Kayserlichen Colle-
giat Kirchen zu Innichin über 1000. Jahr
verehret wird.“
(Sammlung Meinrad Pizzinini)
Rep.: M. Pizzinini
Seitenaltars der Pfarrkirche. In großer
Breite kleidete dunkelrotes Tuch den Hin-
tergrund aus. Armleuchter mit hohen Ker-
zen vervollständigen den Eindruck der
Einfachheit, Schönheit und Majestät. Für-
wahr ein Fastenaltar im Kriegsgebiet!
Wohl werden die Innicher ihr Kreuz, ihren
‚Himmelvater‘, vermissen. Hatten sie doch
seit alter Zeit alle Sorgen, alle Freuden, alle
Kreuze zu ihm getragen, der Einzelne in sei-
nem Anliegen und die ganze Pfarrgemeinde
in gemeinschaftlicher Not. Sonnenschein
und Regen für der Feldfrüchte Gedeihen
mußte er spenden, Hausunfrieden und Her-
zensunfrieden schlichten, den Müttern mußte
er die Kinder und den Kindern die Eltern
segnen. Und wenn einmal ganz besonders
‚lötza Zeitn‘ kamen, dann hob man ihn von
seinem Platze und trug ihn in Prozession
durch den Ort. So bei Hungersnot und
Wassergefahr, so auch, als die welsche Treue
mit ihrem wahren Gesicht so drohend ins
Pustertal sah. …
Wir Lienzer aber dürfen uns unseres alt-
ehrwürdigen Gastes freuen und sollen uns
seiner würdig zeigen. Wäre es nicht eine
Schande für uns, wenn das uralte Hei-
landsbild, das schon so viel Segen und
Hilfe gebracht hat, bei uns auch nur ein
Teilchen von der Verehrung vermissen
sollte, die es seit vielen hundert, vielleicht
seit mehr als tausend Jahren gewöhnt ist?
Glauben wir nur, unser Gast wird uns die
Gastfreundschaft göttlich lohnen. Uns die-
ses Gotteslohnes zu versichern, haben wir
gerade jetzt in der hl. Fastenzeit bei Kreuz-
weg und schmerzhaftem Rosenkranz reiche,
schöne Gelegenheit.“