wollte unbedingt in den Rindermarkt, und
so sind wir 1960 in die 1er-Steinbaracke
gezogen. Dort gab es nur eine WC-Anlage
und eine Wasserstelle. Hier in der Stein-
baracke erinnere ich mich an Frau Maria
Tertnig, die oft zu uns kam. Ihr Körper, be-
sonders ihre Hände, haben gezittert, was
für uns sehr unangenehm war. Es hat
immer geheißen, die Frau Tertnig habe
Schlimmes erlebt, angeblich war sie in
einem Konzentrationslager.
Im Jahre 1968 bin ich mit meiner Mutter
und meinen Geschwistern in die Frieden-
siedlung gezogen. Unser Vater blieb in der
Baracke. Ich bin 1971 nach Linz übersie-
delt und war dann 30 Jahre als Pastoral-
assistentin tätig. Heute lebe ich in Schwe-
chat bei Wien. Bekannt ist meine Schwes-
ter Bernadett-Maria Tabernig (geb. 1939),
die in Südafrika als Missionsschwester
tätig ist.“
Emma Obermoser
(geb. 1922):
5
„Ich wurde im Bayerischen Wald als
Älteste von acht Geschwistern geboren.
Mein Mann wurde am 21. April 1945 von
den Amerikanern aus der Gefangenschaft
entlassen, wurde aber in Mallnitz von den
Engländern gefasst und im Auffanglager
St. Martin interniert. Ich übersiedelte al-
lein (mein Mann war zu dieser Zeit in der
Innsbrucker Klinik) mit meinen drei Söh-
nen Werner, Heinz und Florian im Juni
1946 von München nach Lienz. Florian
war damals zwei Monate alt. Für die Zug-
fahrt von München nach Lienz waren wir
eine Woche unterwegs. Wir zogen in die
eiskalte 2er-Baracke ein. Ich erbettelte mir
einen Ofen, damit ich wenigstens das
Wasser aufheizen konnte. In dieser Stein-
baracke waren 20 Parteien mit insgesamt
46 Personen. Wir hatten zunächst nur
einen Raum zur Verfügung. In der Baracke
neben uns, der 3er-Baracke (heute im
Besitz von Glasermeister Rainer), waren
Weißrussen untergebracht, die nachts
ständig feierten oder unterwegs waren.
Alle drei Baracken am Rindermarkt waren
Steinbaracken, gemauert mit roten Ziegeln.
Die Baracken waren teilweise unterkellert
und mit einem Lehmboden versehen. Die
Zwischenwände wurden mit Holzfaser-
platten errichtet, in denen sich die Mäuse
und Ratten tummelten. Nach Auszug der
Engländer waren diese Baracken für die
Vertriebenen bestimmt. Wir wohnten 14
Jahre in dieser unwirtlichen Baracke, bis
ich im Jahre 1960 vomWohnungsamt eine
Wohnung in der Pestalozzistraße zugewie-
sen bekam. Ich habe im Postverkehrsbüro
Lienz im Bahnhofsgebäude als Aufräume-
rin gearbeitet.“
2. Baracken in der Weidengasse:
Maria Brugger,
geb. Jakober (geb. 1933):
6
„Es gab vier gemauerte Baracken im
Bereich der jetzigen Weidengasse, gleich
nach der Abzweigung von der Dolomiten-
straße, gegenüber der heutigen Höheren
Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Be-
rufe. Diese Baracken wurden im Jahre
1945 für Flüchtlinge errichtet und im
Jahre 1954/55 abgetragen auf Grund des
Neubaues der Handelsakademie, die eine
Verlegung der Weidengasse nach Süden er-
forderlich machte.
Danach im rechten Winkel, im Bereich
der heutigen drei Häuser der ,Neuen Hei-
mat‘ drei Holzbaracken auf Betonstreifen-
fundamenten, die ebenfalls von der Stadt-
gemeinde Lienz im Frühjahr 1945 für not-
leidende Lienzer errichtet wurden. Im
Sommer 1945 beschlagnahmten die Eng-
länder diese Holzbaracken für ihre Solda-
ten und Unteroffiziere. In einer der Holz-
baracken waren Offiziersmesse, Küche und
Aufenthaltsräume. Über den ‚Engländer-
steg‘ war ein direkter Zugang zur heutigen
Haspingerkaserne gegeben, in der die
meisten Engländer wohnten. Diese Holz-
baracken wurden im Jahre 1953 abgetra-
gen und an ihrer Stelle die drei Eisen-
bahnhäuser von der ‚Neuen Heimat‘ er-
richtet. Die anschließenden Häuser
Weidengasse Nr. 9 und Andreas Hofer-
Straße Nr. 46 wurden ebenfalls von der
‚Neuen Heimat‘ errichtet. Auch diese Häu-
ser wurden im Jahre 1945 von den Eng-
ländern beschlagnahmt. Es zogen dort ihre
Offiziere und Unteroffiziere ein. Lediglich
die Schneiderin Amalia Dellacher durfte
als Einzige im Haus Nr. 46 bleiben, da sie
für die Engländer schneiderte.
Unser Haus Weidengasse Nr. 11 befand
und befindet sich auch heute noch südlich
des Hauses Nr. 9, wobei ein neues Haus
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2016
4
HEIMATBLÄTTER
Baracke in der Dolomitenstraße, östlich der Haspinger-Kaserne, um 1955. V. l.: Ing.
Robert Grießmann, DI Norbert Abermann, Albert Vergeiner, Ing. Karl Ebner.
(Sammlung Lore Ebner)
Foto: Privataufnahme
Die von den Briten belegte heutige Haspinger-Kaserne im Jahr 1953. Über den „Eng-
ländersteg“ (Bildmitte) gelangten die Briten direkt zu den Baracken und den von ihnen
beschlagnahmten Häusern der „Neuen Heimat Tirol“ in der Weidengasse.
(TAP – Sammlung Stadtgemeinde Lienz)
Unbekannter Fotograf
Lageplan der drei Holz- und fünf „stei-
nernen“ Baracken in der Weidengasse.
(Stadtgemeinde Lienz)