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terbenutzung eines Teiles der Kirche C ein
Fortleben christlicher Kulthandlungen (s.
unten). Die vergleichsweise geringe Größe
der weiterbenutzten Kirche und die daraus
abzuleitende materielle und religiöse Ver-
armung lassen auf eine einschneidende po-
litische, gesellschaftliche und religiöse
Veränderung schließen, die am ehesten mit
der Inbesitznahme großer Teile Osttirols
durch die nichtchristianisierten Slawen im
frühen 7. Jh. in Verbindung zu bringen ist.
Phase 3: Mittelalterliche Kirche
samt zugehörigem Gräberfeld
(7. bis 15. Jh.; Abb. 2)
Die Brandzerstörung großer Teile der
frühchristlichen Kirche nach 600 scheint
nur zu einer kurzen Unterbrechung christ-
licher Kulthandlungen am Ort der späteren
Ulrichskirche geführt zu haben. Das Auf-
liegen eines neuen Mörtelestrichs direkt auf
der erwähnten Brandschicht läßt an
einen Wiederaufbau unmittelbar nach der
teilweisen Brandzerstörung denken
15
. Die-
ser Wiederaufbau hat sich auf den Ostteil
der frühchristlichen Kirche beschränkt, ihr
Westteil ist damals aufgegeben und zu ei-
nem nicht exakt bestimmten Zeitpunkt zu
einem Friedhof umgestaltet worden.
Die mittelalterliche Kirche hat beinahe
die gesamte Osthälfte der frühchristlichen
Kirche in Anspruch genommen. Wie weit
sie nach Westen gereicht hat, läßt sich
zwar nicht mehr exakt bestimmen, das aus-
schließliche Vorhandensein von Spuren
des neuen Estrichs östlich des Triumph-
bogens der heutigen Kirche und der Be-
stattungen westlich davon macht aber deut-
lich, daß die Westgrenze der Kirche in
Phase 3 in diesem Bereich gelegen haben
muß. Vermutlich ist die Westmauer bei der
Errichtung des Triumphbogens der heuti-
gen Kirche vollständig abgetragen worden.
Betreten werden konnte die Kirche in
Phase 3 über eine neue Treppenanlage im
Süden. Die Stufen dieser in die Kirche hin-
abführenden Stiege bildeten z. T. wieder-
verwendete römische Marmorblöcke
(Abb. 1). Im Gegensatz zu den Phasen 1
und 2, in denen an keiner Stelle der erhal-
ten gebliebenen Mauern wiederverwende-
te römische Marmorsteine oder sonstige
Bauglieder angetroffen wurden, zeichnet
der häufige Einbau derartiger Elemente
Phase 3 geradezu aus. Die nischenförmige
Süderweiterung der alten Kirche C (und
wohl auch die gegenüberliegende Nord-
nische) und die Apsis im Osten sind –
wohl aus statischen Gründen – durch Mau-
ern vom Kircheninnern abgetrennt wor-
den, die zumindest im Fundamentbereich
aus mächtigen antiken Marmorblöcken be-
standen haben
16
.
Die Umbauten ergaben eine einfache
rechteckige Saalkirche von etwa 9 x 8 m
Grundfläche. Die ehemalige Priesterbank
ist aufgegeben und von der Abmauerung
der Apsis im Osten überbaut worden. Der
eigentliche Apsisbereich ist weiterhin in
Verwendung gestanden, wie Reste des
Mörtelestrichs an dieser Stelle belegen. Die
Funktion dieses vom eigentlichen Kir-
chenraum abgetrennten Teils bleibt offen.
Das imWesten an die mittelalterliche Kir-
che anschließende Gräberfeld ist durch spä-
tere Ein- bzw. Umbauten stark verunklärt
worden. Einige ungestörte oder nur wenig
gestörte Gräber beinhalteten Ost-West-
orientierte Skelette, deren Schädel nach
Osten bzw. auf die Kirche gerichtet waren.
Die Toten lagen in gestreckter Rückenlage,
die Arme ruhten entweder seitlich am Kör-
per oder in leicht gewinkelter Stellung mit
den Händen im Bereich des Beckens.
Eine Zurichtung der Grablegen konnte in
keinem Fall beobachtet werden, weder
Reste hölzerner Sarkophage oder steinerner
Einfassungen bzw. Abdeckungen sind ent-
deckt worden. Bei einem Frauenskelett,
welches durch ein Fundament der späteren
gotischen Kirche gestört war, fand sich ein
gegossener Ohrring mit lunulaförmig aus-
geklopftem Schild und ziselierter Verzie-
rung (Abb. 5). Dieses Stück kann dem For-
menschatz von Köttlach 2 und damit der
Zeit zwischen der Mitte des 8. und dem 11.
Jh. n. Chr. zugeordnet werden
17
. Dem Grä-
berfeld zuweisen läßt sich auch ein kleiner
Knochenring, der zu einer Paternoster-
schnur, einem Vorläufer der heutigen
Rosenkränze, gehört haben dürfte
18
.
Die mittelalterliche Kirche scheint sehr
lange in Verwendung gestanden zu haben.
Paolo Santonino, ein Sekretär des Bischofs
von Caorle, hat anläßlich eines Besuches
des Lavanter Kirchbichls im Jahre 1485
diese Kirche vermutlich noch gesehen:
„Außerdem ist auf dem gleichen Berge,
ein wenig tiefer (Anm.: als die Kirche der
Hll. Petrus und Paulus) gelegen, die uralte
Pfarrkirche des hl. Udalrich.“
19
Daß es sich
bei der von Santonino erwähnten Kirche
tatsächlich um die hier besprochene mit-
telalterliche Kirche gehandelt hat, wird in-
direkt durch die Schilderung des „Lavan-
ter Wunders“ durch Santonino im selben
Zusammenhang bestätigt. Danach soll ein
Zimmermann einen Sturz vom Kirchen-
dach und anschließend über einen Felsab-
hang „von so grauser Höhe“ unbeschadet
überstanden haben, „daß eine Leiter von
300 Ellen nicht langt, sie zu überwin-
den.“
20
Als einzige aller (bisher) bekannten
Kirchen war die mittelalterliche bzw. um-
gebaute frühchristliche Kirche an den
äußersten Rand des Kirchbichls gesetzt
worden.
Fortsetzung folgt
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 6 — 63. Jahrgang
Anmerkungen:
1 Dank für das gute Gelingen dieser Unternehmung ge-
bührt den Bewohnern von Lavant, und dabei insbeson-
dere Bürgermeister Konrad Kreuzer, Altbürgermeister
Josef Hanser und Monsignore Johann Lungkofler, so-
wie allen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftli-
chen Mitarbeitern, besonders H. und R. Brunner,
M. Guggenberger, J. Kofler, L. Pacher, A. Pizzinini,
G. Schick, A. Tscharnidling und U. Wein.
2 s. F. Miltner, Die Grabungen auf dem Kirchbichl von
Lavant/Osttirol. Vierter vorläufiger Bericht. ÖJh 43,
1956, Beibl. 120 ff.
3 Vgl. dazu etwa St. Karwiese, Lavant – Ein Schwer-
punkt in der Frühgeschichte Osttirols, OHBl. 41, 1973,
H. 7-10, o. Pag. (16. 21 f.).
4 Zu den Grabungen der Jahre 1992 und 1993 s. auch M.
Tschurtschenthaler - K. Winkler, Lavanter Kirchbichl.
Die Ausgrabungen in den Jahren 1992 und 1993. Ein
Vorbericht. Mitteilungen zur frühchristlichen Archäo-
logie in Österreich 6, 1994, 22ff.; K. Winkler, FÖ 32,
1993, 809ff.
5 Eine Bergung dieser Spolien war aus statischen Grün-
den nur in den seltensten Fällen möglich.
6 Vgl. A. B. Meyer - A. Unterforcher, Die Römerstadt
Agunt (1908), 95: Sie berichten von einem inzwischen
verschollenen Inschriftenstein, den Roschmann 1756 in
seiner Handschrift erwähnt hat: „Im Dorfe Lavant war
in die Mauer der Ulrichskirche (d.i. die untere, größe-
re Kirche) ein Stück weißen Marmors eingemauert
(1 1/2 Fuß breit, 8 Zoll dick), auf dem nur drei sehr
große, fein ausgemeißelte Buchstaben: Q V A zu sehn
waren.“ - Vgl. dazu auch CIL III 2.
7 Der älteste Bau, wie auch die nachfolgenden Kirchen-
bauten werden in ihrer Lage durch den anstehenden
Felsen und das natürliche Plateau bestimmt. Aus die-
sem Grund besitzt kein Bau eine exakte Ostung. Diese
Abweichung wird in der Beschreibung vernachlässigt.
8 Ein Nebeneinander mehrerer frühchristlicher Kirchen
ließ sich auch in Oberlienz feststellen: H. Stadler, Mit-
teilungen zur frühchristlichen Archäologie in Österreich
4, 1992, 15ff. – Im benachbarten Kärnten ist das Vor-
handensein derartiger „Kirchenfamilien“ für Teurnia,
den Grazerkogel und den Hemmaberg belegt. Vgl. da-
zu F. Glaser, Das frühchristliche Pilgerheiligtum auf dem
Hemmaberg (1991).
9 Zur Freilegung der „Bischofskirche“ s. F. Miltner, Die
Ausgrabungen in Lavant/Osttirol. Zweiter vorläufiger
Bericht. ÖJh 40, 1953, Beibl. 39ff.; Ders., Die Gra-
bungen auf dem Kirchbichl von Lavant/Osttirol. Drit-
ter vorläufiger Bericht. ÖJh 41, 1954, Beibl. 43ff.;
Ders. a.O. (Anm. 2) 92ff.
10 Vgl. dazu auch Glaser a.O. (Anm. 8) 62f.
11 Zum „Prunkbau“ von Aguntum vgl. M. Tschurtschent-
haler, Feldarchäologische Forschungen in Aguntum seit
1991. OHBl. 62, 1994, H. 5, o. Pag. (S. 3f.).
12 Zur Bischofskirche von Teurnia s. kurz F. Glaser, Teur-
nia – Metropolis Norici. Ein frühchristlicher Bischofs-
sitz (1987) 5ff. Abb. 3.
13 Eine ähnliche Lage des Reliquienloculus wird auch am
Hemmaberg für die Memorialkirche B vermutet. Vgl.
dazu Glaser a.O. (Anm. 8) 49ff.
14 Die Periodisierung der Bischofskirche bereitet wegen
der mangelhaften Dokumentation der Ausgrabungen
große Probleme. Überzeugen konnte bisher nur die hier
übernommene, von W. Alzinger erstellte und von
F. Glaser modifizierte Periodisierung: s. W. Alzinger,
ANRW II 6 (1977) 410 Abb. 22.; F. Glaser a.O. (Anm.
8) Anm 12.
15 Ein Kultkontinuum konnte auch in Oberlienz und
Anras nachgewiesen werden. In Lienz/Patriasdorf
scheint ein derartiges christliches Fortleben zumindest
wahrscheinlich zu sein. – Vgl. dazu: L. Zemmer-Plank,
VeröffTLM 54, 1974, 251ff.; W. Sydow, Das frühe
Christentum in Nord- und Osttirol nach den archäolo-
gischen Zeugnissen, Tiroler Heimat 54, 1990, 44ff.;
Ders., Die frühchristliche Kirche in Anras (Pustertal)
und ihre Nachfolgebauten, FÖ 32, 1993, 577ff. bes.
593.
16 Den häufigen Gebrauch antiker Bauglieder in dieser
Phase beweist indirekt auch die Verfüllung der mittel-
alterlichen Kirche nach ihrer Zerstörung mit derartigen
Stücken. – Auf die zur Abtrennung der Apsis verwen-
deten Marmorblöcke ist schon Miltner gestoßen.
Fälschlicherweise hat er sie als Fundament eines goti-
schen Stützpfeilers interpretiert: s. Miltner a.O. (Anm.
2) 120. Abb. 52.
17 Allgemein zum Schmuck dieses Zeithorizonts s. V. Sri-
bar – V. Stare, Das Verhältnis der Steiermark zu den
übrigen Regionen der Karantanisch-Köttlacher Kultur.
Schild von Steier 15/16, 1978/79, 209ff.; P. Petru – V.
Sribar – V. Stare, Der Karantanisch-Köttlacher Kul-
turkreis. Frühmittelalterlicher Schmuck. Schild von
Steier, Kleine Schriften 16, 1975. – Zur (umstrittenen)
Datierung dieser Kulturstufe vgl. s. J. Giesler, Zur
Archäologie des Ostalpenraumes vom 8. bis 11. Jahr-
hundert. AKorrBl 10, 1980, 87ff. bes. 95: Er datiert die
Phase Köttlach 2 in die 2. Hälfte des 10. bis zur Mitte
des 11. Jhs. – P. Gleirscher, Kärnten Archiv, Wien
1993, Nr. 01007 datiert diese Kulturstufe hingegen von
der Mitte des 8. bis ins 9. Jh. – Der Ohrring stellt nicht
das erste Fundobjekt der Köttlacher Kultur am Lavan-
ter Kirchbichl dar. Bei den früheren Grabungen konn-
ten u.a. ein bandförmiger, verzierter Fingerring und ein
Kopfschmuckring mit Knöpfchenenden geborgen
werden; s. H. Rodriguez-Mattel, Die vor- und frühge-
schichtlichen Kleinfunde vom Lavanter Kirchbichl in
Osttirol. Ungedr. Diss. Innsbruck (1986) 394.
18 Zur Herstellung und Verwendung von Paternostern s.
M. Schuck, Horn-, Geweih- und Knochenverarbeitung.
In: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um
1300 (1992) 417.
19 Übersetzung: R. Egger, Die Reisetagebücher des
Paolo Santonino 1485-1487 (1947) 28.
20 Übersetzung: Egger a.O. (Anm. 19) 29f.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer: Univ.-
Ass. Dr. Michael Tschurtschenthaler und Mag.
Katrin Winkler, Institut für Klassische Archäolo-
gie der Universität Innsbruck, Innrain 52, A-6020
Innsbruck.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ost-
tiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
Albertistraße 2a, A-6176 Völs.