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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
63. Jahrgang — Nummer 6
Die erste Etappe der Generalsanierung
der Pfarrkirche St. Ulrich und des zu-
gehörigen Friedhofs bot dem Institut für
Klassische Archäologie der Universität In-
nsbruck die Möglichkeit der umfassenden
archäologischen Untersuchung einer der
markantesten und wichtigsten Stellen des
Lavanter Kirchbichls
1
. Schon Franz Milt-
ner, der Leiter der ersten großen Freile-
gungsarbeiten des Kirchbichls zwischen
1948 und 1955, hat im Wissen um die Be-
deutung dieses Bereiches für die Kirchen-
und Siedlungsgeschichte Probegrabungen
östlich des heutigen Chores unternommen
2
.
Vornehmlich wegen ihrer räumlichen Be-
schränktheit haben sie mehrdeutige und
deshalb in der Folgezeit stark umstrittene
Ergebnisse geliefert
3
. Im Bestreben einer
Änderung dieses Zustandes wurden zwi-
schen Dezember 1992 und Juni 1995 in
sechs Kampagnen (fast) das gesamte Kir-
cheninnere, die Sakristei samt Verbin-
dungsgang, die Bereiche östlich und süd-
lich des Langhauses, eine im Norden dem
Friedhof neu hinzugefügte Fläche von zwei
bis vier Metern Breite und die Trasse der in
die Erde verlegten Stromzuführung nörd-
lich der Kirche auf einer Länge von ca. 100
m feldarchäologisch erforscht. Nur die re-
zente Gräberzone im Norden blieb – trotz
entgegenstehender wissenschaftlicher In-
teressen – aus verständlichen Gründen aus-
gespart
4
.
Funde der römischen Kaiserzeit
Im untersuchten Gebiet sind eine große
Zahl von Mauern und sonstiger Baureste
ergraben worden, von denen sich kein ein-
ziger mit ausreichender Begründung in die
römische Kaiserzeit datieren läßt. Ebenso
fehlen Spuren einer noch älteren Bebau-
ung. Ähnlich verhält es sich mit sekundär
nicht verlagerten Funden. In der Ulrichs-
kirche und ihrer Umgebung sind zwar
mehrere antike Bauelemente wie Säulen-
fragmente, profilierte und einfach bearbei-
tete Bauglieder aus Marmor angetroffen
worden, sie sind aber sekundär in Bauten
jüngerer Zeitstellung integriert oder bloß
als Auffüllmaterial verwendet worden
5
(Abb. 1). Im nördlichen Seitenaltar der
heutigen Kirche wurde ein bereits im 18.
Jh. bekannter und anschließend verschol-
lener Marmorstein mit der wenig aussage-
kräftigen Buchstabenkombination QVA
entdeckt, dessen ausgezeichnete Schrift-
qualität ihn ins erste nachchristliche Jh. da-
tiert
6
(Abb. 3).
Damit haben die Grabungen eine Hoff-
nung unsererseits, nämlich die Auf-
deckung eines antiken Gebäudes und ins-
besondere eines römischen Tempels, nicht
erfüllt. Trotzdem scheint auf Grund der al-
lenthalben festgestellten Felsabarbeitungen
beachtlichen Ausmaßes, die auf dem von
Natur aus steilen Kirchbichl zur Erlangung
ebener Bauflächen stets unvermeidlich wa-
ren, ein später vollkommen abgetragener
römischer Vorgängerbau an dieser promi-
nenten Stelle nicht gänzlich auszuschließen
zu sein. Ob die oben erwähnten Bauglieder
zu diesem nicht nachgewiesenen Gebäude
oder zu einem oder mehreren anderen
Grab-, Kult- oder Profanbauten gehört
haben, muß dahingestellt bleiben.
Phasen 1 und 2: Frühchristliche
Kirche (5. und 6. Jh.; Abb. 2)
Das älteste ergrabene Gebäude im Be-
reich Ulrichskirche stellt ein Bau dar, des-
sen Funktion und Zeitstellung erst in die-
sen Tagen geklärt werden konnte. Die bei
Abfassung dieser Zeilen noch andau-
ernden Grabungen östlich
7
des Chores der
heutigen Pfarrkirche im Mai und Juni 1995
haben Mauerzüge zu Tage gefördert, die
zusammen mit den bereits 1993 innerhalb
der Ulrichskirche freigelegten zu einem
Gebäude gehört haben, das als frühchrist-
liche Kirche anzusprechen ist (Kurzbe-
zeichnung: Kirche C). Damit hat sich die
Zahl der am Lavanter Kirchbichl nachge-
wiesenen frühchristlichen Kirchen auf drei
erhöht
8
. Die beiden anderen sind in den
frühen fünfziger Jahren unter Franz Milt-
ner freigelegt und vereinfachend „Bi-
schofskirche“ genannt worden (Kurzbe-
zeichnung: Kirchen A und B)
9
.
Die neuentdeckte Kirche C befindet sich
etwa zur Hälfte unterhalb des heutigen
Friedhofs und zur anderen Hälfte unter-
halb der heutigen Kirche bzw. des Kirch-
turms und der Sakristei. Ihre Mauern und
Fußböden wurden (zumindest im unter-
suchten Teil) direkt auf eine wohl künst-
lich hergestellte Felsterrasse gesetzt. Die-
se Terrasse liegt um etwa einen Meter tie-
fer als die im Süden angrenzende
Terrasse, auf der die heutige Kirche steht.
Der unregelmäßig verlaufenden Felskante
zwischen den beiden Ebenen sind die süd-
liche Außenmauer (Abb. 1) und Teile des
Ostabschlusses vorgelagert. Auch eine
nischenförmige Erweiterung des Kir-
chenschiffes im Süden lehnt sich an diese
Kante an.
Der Grundriß der frühchristlichen Kirche
C läßt sich trotz ihrer nur teilweisen Frei-
legung und trotz massiver Eingriffe im Zu-
ge späterer Baumaßnahmen weitgehend
wiedergewinnen. Die einschiffige Kirche
wurde von einer stark verzogenen, in die
Fluchten der Langhausmauern einbinden-
den Apsis gegen Osten hin abgeschlossen.
Im östlichen Drittel wurde der Kirchensaal
im Süden und wohl auch im Norden durch
je eine rechteckige, raumförmige Nische er-
weitert. In der Apsis wurden in einem Ab-
stand von mindestens 0,40 m und maximal
1,50 m die Grundmauern einer freistehen-
den, im Gegensatz zur halbkreisförmigen
Außenmauer auffallend regelmäßig gestal-
teten Priesterbank angetroffen. Im Funda-
mentbereich betragen ihr Innenradius ca.
1,50 m, ihr (rekonstruierter) innerer Umfang
ca. 4,70 m und ihre Breite zwischen 0,80
und 0,90 m. Eine Kathedra ist nicht nach-
zuweisen. Die Kirche selbst maß in dieser
Phase ca. 17 m in der Länge. Ihre Breite
dürfte 7,50 bis 8,00 m betragen haben.
Abb. 1:
Südmauer
der früh-
christ-
lichen
Kirche C
samt der
im Mittel-
alter ein-
gefügten
Stiege aus
römi-
schen
Marmor-
steinen.