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Nummer 11/2002
70. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Mit der Hochschulreform des Ministers
Leo Graf Thun-Hohenstein wurde das Stu-
dium der natur- und geisteswissenschaft-
lichen Fächer nach der bürgerlichen Revo-
lution von 1848 durch die Errichtung einer
eigenständigen Philosophischen Fakultät
erneuert. Bis 1848 war diese Fakultät nur
als „niederer“ verpflichtender zweijähriger
Vorbereitungskurs auf die „höheren“
Rechts-, Medizin- und Theologie-Studien
eingerichtet. Diese Funktion wurde 1849
auf die 7. und 8. Klasse des zuvor sechs-
jährigen Gymnasiums übertragen. Insbe-
sondere wurde an der Philosophischen
Fakultät modern Humboldtschen Typs das
Lehramtsstudium für die Gymnasien völlig
neu organisiert.
In gut fünfzig Jahren philosophischem
Studium über ein halbes Jahrhundert bis
hin zum Immatrikulationstermin im
Herbst 1904, der wegen bürgerkriegsähn-
licher Unruhen um die geplante eigen-
ständige italienische Rechtsfakultät in
Innsbruck-Wilten zehn Jahre vor dem im-
perialistischen Weltkrieg einen markanten
Einschnitt in der Innsbrucker Universi-
tätsgeschichte darstellt, entwickelten sich
die Bildungschancen von Studenten im
ländlich-agrarisch geprägten Osttirol an-
gesichts sozialer Barrieren nur sehr be-
grenzt, wenn man die Studentendaten der
postrevolutionären
Jahrhunderthälfte
nach 1848 umgelegt auf den heutigen Be-
zirk Osttirol mit seinen rund 29.000 Ein-
wohnern bei der Volkszählung 1880 be-
trachtet: In 55 Jahren studierten 52 Ostti-
roler an der Philosophischen Fakultät, an
der Innsbrucker Rechtsfakultät hörten im
selben Zeitraum bis 1904 51 Studenten aus
Osttirol, an der – in Innsbruck allerdings
erst 1869 eingerichteten – Medizinischen
Fakultät frequentierten 22 Osttiroler. Die
Ausbildung des diözesanen Klerus erfolgte
fast ausschließlich am bischöflichen
Seminar in Brixen.
Diese geringe Studentenzahl – den
Frauen blieb bis zur vorigen Jahrhundert-
täler: 85 % der Osttiroler Jusstudenten und
75 % der Medizinstudenten stammen in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
aus Lienz, Sillian und Matrei, während aus
diesen drei Orten 60 % der Studenten der
Philosophischen Fakultät kommen.
Die für einen Landbezirk wie Osttirol
typische Stadt-/Landverteilung verdeutlicht
auch die sozialen Zugangsbeschränkun-
gen. Das sozial elitäre Jusstudium war den
ländlich bäuerlichen Schichten noch viel
unzugänglicher als das im Hinblick auf die
zeitverkürzte Studiendauer und auf Prü-
fungstaxen viel kostengünstigere Lehr-
amtsstudium an der Philosophischen
Fakultät. Sämtliche Forschungen über
Universitäten im deutschsprachigen Raum
zeigen bis 1914 die Studentenrekrutierung
in folgender absteigender sozialer Rang-
ordnung: Juristische, Medizinische,
Philosophische und Katholisch-Theologi-
sche Fakultät. Während die Juristenfakul-
täten vom wohlhabenden städtischen Be-
sitz-, Beamten- und Bildungsbürgertum
dominiert werden, bestimmen handwerk-
lich bäuerliche Berufsgruppen in relativ
größerem Maß die Philosophischen und
insbesonders die Theologischen Fakultä-
ten. Innsbruck folgt diesem Muster der
sozialen Hierarchie der Fakultäten völlig,
wie die Edition der Matrikel der Univer-
sität Innsbruck demonstrieren kann.
Viele der im Anhang angeführten Ostti-
roler Studenten nahmen weite Lehramts-
Wege durch die k.k. Monarchie. So findet
man an der Jahrhundertwende 1900 etwa
den Amlacher Augustin Unterforcher, ver-
dient als Osttiroler Namenforscher, am
k.k. Staatsgymnasium in Triest, zuvor
hatte er in Komotau, Leitmeritz und Eger
in Böhmen gelehrt. Peter Paul Passler, in
Erinnerung als Erforscher der Deferegger
Geschichte fernab seiner Heimat, sup-
plierte zu Beginn seiner Gymnasialprofes-
sorenlaufbahn in den Jahren 1877 bis 1884
in Salzburg, im österreichisch-schlesischen
Teschen [Cieszyn], im mährischen Brünn
Peter Goller
Osttiroler Studenten an der Philosophi-
schen Fakultät der Universität Innsbruck
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1848 bis 1904)
wende das Studium allein von Gesetzes
wegen unzugänglich – zeigt, welch fort-
schrittliche Errungenschaft die Bildungs-
öffnung seit den 1960er-Jahren für die
Osttiroler Jugend ist. Umso bedauerlicher
ist deshalb – gerade im geschichtlichen
Rückblick – die zunehmende Gefährdung
des freien Zugangs zur Hochschulbildung.
Ein Blick auf die Herkunft der Osttiroler
Studenten zeigt abseits der drei mittleren
Verwaltungsorte Lienz, Sillian und Matrei
eine – von Ausnahmen abgesehen – fak-
tisch bildungsfreie Zone in den Dorfge-
meinden, vor allem in jenen der Seiten-
„Engelbert Kobald (geb. 1848 in Matrei –
gest. 1926 in Leoben), 1875 Dr. phil. und
Privatdozent an der Universität Innsbruck
für Mathematische Physik, 1876 Professor
für Mathematik und Physik an der
Montanuniversität Leoben, hier 1909 als
Rektor in Leoben.“
(Quelle: Univ.-Archiv Innsbruck, Bildarchiv)